HISTORICAL EXCLUSIV Band 23
Boden.
Der Earl bückte sich danach und nahm Seraphina zu ihrem Erstaunen das Instrument ab. „Ihr seht müde aus. Ich werde Euern Gesang begleiten.“
„Wie Ihr wünscht“, erwiderte Seraphina kühl. Seine unerwartete Freundlichkeit hatte sie etwas aus dem Gleichgewicht gebracht. „Zweifellos können meine Künste ohnehin nicht mit denen konkurrieren, die ihr bei Hofe gewöhnt seid.“
Heywood hob wortlos die Brauen über diese Ungezogenheit und machte sich dann schweigend daran, die Saiten zu stimmen.
Wenn er es doch nur gewesen wäre, dem sie vor einem Jahr zum Traualtar gefolgt war! Vor einem Jahr hatte sie noch gedacht, dass bei ehrlichem Willen der Frau eine Ehe gut werden konnte. Sie hatte daran geglaubt, dass man in seinem Mann Liebe erwecken könnte, wenn man sich nur gehörige Mühe gab! Die Stärke ihres Verlangen erschütterte sie, und als Heywood unvermittelt den Kopf hob, blieb ihr keine Zeit mehr, den Blick abzuwenden und ihre Gedanken zu verbergen. Sie versank in der goldflimmernden Tiefe seiner Augen. Der Earl schlug einen Akkord an und hielt dann regungslos ihrem Blick stand.
„Also, wollt ihr beide nun singen oder wollt ihr euch den ganzen Abend nur anstarren?“, murrte Lord Musgrave schließlich und erhob sich von seinem Armstuhl neben dem Feuer.
„Onkel!“, rief Seraphina ungehalten.
„Nur Geduld, Tom.“ Auf dem unbewegten Antlitz des Earls erschien ein Lächeln. „Vielleicht wünschst du dir, wir hätten uns nur angestarrt, wenn du uns erst hörst!“ Liebenswürdig wandte er sich an Lady Katherine. „Was sollen wir singen, Mylady?“
„Greensleeves … wenn Ihr es kennt, Mylord?“
„Aber du hast mir doch gesagt, dass du dieses Lied verabscheust“, sagte Seraphina verwundert.
„In der Tat“, pflichtete Lord Carey freundlich bei. „Du hast gesagt, du musst dann immer an sie denken …“
„Es erinnert mich in der Tat an Anne Boleyn“, unterbrach ihn Lady Katherine. „Aber ich habe eine schöne Zeit mit ihr verbracht, ehe sie beim König in Ungnade fiel.“
„Ich kenne das Lied gut, Mylady. Es gehörte zu den Lieblingsliedern meines Vaters.“ Der Earl lächelte verschmitzt. „Aber das wisst Ihr ohne Zweifel.“
„So ungefähr erinnere ich mich daran.“ Zu Seraphinas Überraschung lachte die Mutter fröhlich. „Ihr ähnelt Euerm Vater sehr, Mylord, sowohl im Aussehen als auch in der Impertinenz. Nun beginnt endlich zu spielen, ehe ich Euch die Laute wieder wegnehme wie einstmals Euerm Vater.“
Seraphina öffnete erstaunt den Mund, kam aber nicht mehr dazu, eine Frage zu stellen, da der Earl bereits den ersten wehmütigen Akkord anschlug, und so begann sie zu singen, unsicher zuerst, doch dann mit mehr Selbstvertrauen, als Heywood in den Refrain einstimmte.
„Ihr habt wirklich eine sehr hübsche Stimme“, stellte der Earl fest, als der letzte Ton verklungen war. „Welche anderen Talente versucht Ihr noch zu verbergen, Mylady?“
„Was die häuslichen Tugenden anbelangt, nicht gar zu viele“, gestand Seraphina.
Heywood legte lachend das Instrument zur Seite und lehnte sich wieder in die Kissen zurück. „Nun, diese Art von Talenten hatte ich bei meiner Frage nicht im Sinn.“
Als Seraphina ihn zweifelnd ansah, erkannte sie an dem Ausdruck seiner Augen, welche Kunstfertigkeiten er sich vorgestellt hatte, und erblasste. Ärgerlich biss sie sich auf die Lippen. Was war nur los mit ihr? Sie setzte alles daran, damit Heywood sie für eine leichtfertige Person hielt, und wenn er es dann tat, empfand sie Groll gegen ihn.
„Verzeihung, Mylord, was habt Ihr eben gesagt?“ Lady Katherine unterdrückte ein Gähnen. Wir sollten alle ins Bett gehen, dachte sie, insbesondere Seraphina. Sie sieht so blass aus.
„Ich sagte, Eure Tochter hat viele unerwartete Talente“, log der Earl ungerührt. „Ihr Lehrer muss ein sehr fähiger Mann gewesen sein.“
Als Seraphina der beleidigenden Zweideutigkeit dieser Worte gewahr wurde, wich ihre Blässe einer zornigen Röte.
„Bruder Francis war in der Tat sehr kenntnisreich“, erwiderte Lady Katherine und übersah geflissentlich die unterschwellige Spannung zwischen ihrer Tochter und dem Earl. „Und Seraphina eine gute Schülerin, wenn sie sich Mühe gab.“
„Daran zweifle ich nicht“, meinte Heywood in betont lässigem Tonfall und lächelte Seraphina so vielsagend an, dass sie ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. „So, ein Mönch war er also …“, fügte er hinzu und beobachtete aufmerksam den
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