HISTORICAL EXCLUSIV Band 23
Mistress Morrison“, rief Seraphina Bess zu, die im Nebenzimmer damit beschäftigt war, an dem rostroten Gewand die Schäden vom gestrigen Abend auszubessern. „Lange werde ich nicht bleiben.“
Im Korridor stieß sie dann beinahe mit Mary Sidney zusammen, die einen Blick auf ihr strahlendes Gesicht warf und freundlich lachte. „Ich brauche wohl gar nicht erst zu fragen, ob Ihr den Streit nun begraben habt!“
„Nein.“ Seraphinas Antlitz überzog sich mit einem rosigen Hauch. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass man ihr das Glück so deutlich ansehen konnte. „Habt Ihr Mistress Morrison gesehen?“, fragte sie lächelnd. „Ihr hattet nämlich recht, und ich will jetzt den Grund herausbekommen … nicht dass es jetzt noch irgendetwas zu bedeuten hätte.“
„Dann gibt es vielleicht noch einen Umstand, den Ihr wissen solltet“, sagte Mary Sidney zögernd. „Ehe Ihr an den Hof kamt, machten hier Gerüchte über Eure erste Ehe die Runde, und sie gingen von Mistress Morrison aus.“
„Von Grace? Aber was für eine Veranlassung sollte sie dafür haben?“
Mary zuckte die Schultern. „Vielleicht Eifersucht.“
„Aber sie hatte, weiß Gott, überhaupt keinen Grund, eifersüchtig auf mich zu sein. Eher hätte es umgekehrt sein können, denn Edmund verehrte selbst den Erdboden, den ihre Füße berührt hatten …“ Seraphina runzelte die Stirn, lachte dann aber. Nichts konnte heute Morgen ihr Glück trüben, auch nicht Grace’ merkwürdiges Benehmen. „Nun, dann gibt es offensichtlich noch etwas, das ich sie fragen muss. Vielleicht hat es auch daran gelegen, dass sie sich über Edmunds Tod so aufgeregt hat.“
„Schon möglich“, erwiderte Mary, aber der Zweifel in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Ich habe Mistress Morrison vor ein paar Minuten gesehen. Sie war im Begriff auszureiten. Wenn Ihr Euch beeilt, könnt Ihr sie vielleicht noch erreichen. Oh, beinahe hätte ich das Wichtigste vergessen: Ihr sollt am kommenden Sonntag zum ersten Male den Platz unter den Damen der Königin einnehmen. Wenn Ihr morgen etwas Zeit habt, dann kommt und nehmt eine kleine Erfrischung in meinem Zimmer ein. Ich werde Euch dann darüber in Kenntnis setzen, wie die Königin bedient zu werden wünscht.“
„Ich danke Euch“, sagte Seraphina erfreut. Nach dem letzten, etwas misslichen Zusammentreffen mit der Königin hatte sie dem nächsten nicht mit großer Begeisterung entgegengesehen. „Also dann bis morgen.“
„Ja.“ Mary nickte lächelnd, wandte sich dann aber nach ein paar Schritten mit sorgenvoll gerunzelter Stirn noch einmal um. „Seraphina, es gibt noch etwas in Bezug auf Mistress Morrison, das mich beunruhigt …“ Sie unterbrach sich und schüttelte resigniert lächelnd den Kopf. Seraphina war bereits außer Hörweite und entschwand eine Treppenflucht hinab in einer Geschwindigkeit, die nur schwer in Einklang zu bringen war mit der gebührenden Sittsamkeit einer Edeldame. Doch als sich Mary dann wieder den Gemächern der Königin zuwandte, vertieften sich die Sorgenfalten in ihrem Gesicht.
Der Stallhof lag verlassen da. Aber das war nicht weiter verwunderlich, da die Königin heute Morgen zur Jagd ausgeritten war. Viele Höflinge ließen sich von ihren Lakaien ein zweites Pferd nachbringen für den Fall, dass das erste während der wilden Treibjagd die Kräfte verließen. Zweifellos genossen jetzt die Stallburschen die Gelegenheit, sich für kurze Zeit einmal dem Müßiggang hingeben zu können. Ein helles Wiehern aus einem der Ställe veranlasste Seraphina, lächelnd den Kopf zu wenden. Madrigal! Sie durchschritt den Hof und betrat den Stall, in dem die Stute untergebracht war. Als sie näher kam, bemerkte sie, dass sich der Halfterriemen um eine Latte geschlungen hatte und das Tier das Heu in der Holzraufe nicht erreichen konnte. So ging sie in seine Bucht, um den Schaden wieder zu beheben.
Für ein paar Minuten verweilte sie danach noch dort, strich der Stute zärtlich über die Ohren und ließ sich von ihr ganz sachte anschnauben. Wahrscheinlich habe ich Grace ohnehin verfehlt, dachte Seraphina. Aber die ganze Angelegenheit erschien ihr auch gar nicht mehr wichtig, wenn sie an die vergangene Nacht dachte. Richard liebte sie. Er hatte es ihr gesagt, öfter als sie zählen konnte. Das zärtliche Lächeln erstarb ihr jedoch auf den Lippen, als sie durch die offene Halbtür des Stalles Lord Denleigh bemerkte, der gerade den Hof durchquerte.
Ängstlich versuchte Seraphina, sich hinter Madrigal
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