HISTORICAL EXCLUSIV Band 23
Garküchen, die diese Straße säumten.
„Was ist? Bist du schon wieder hungrig, so kurz nach unserem letzten Mahl?“, neckte Jean sie, als sie beide drinnen waren. Elises häufige Anfälle von Heißhunger bildeten Anlass zu vielen Scherzen, sobald Jean von der Ursache wusste. Aber seine Schwester sah nicht belustigt aus.
„Nein, ich habe keinen Hunger. Ich habe bloß Capitaine Blanchard auf der Straße gesehen. Er kam geradewegs auf uns zu, und ich wollte ihm nicht begegnen.“
„Hat er dich wieder belästigt? Ich bringe ihn um, das schwöre ich!“
Elise legte beschwichtigend ihre Hand auf seinen Arm.
„Nein, seit jenem Tag, als ich den Schürhaken gegen ihn erhob, ist er nicht mehr zum Haus gekommen, aber manchmal sehe ich ihn auf der Straße. Dann … starrt er mich nur an … in dieser unverschämten Weise, als wäre ich eine käufliche Dirne. Ich bin überzeugt, er hat bemerkt, dass ich enceinte bin. Ich hörte ihn lachen, als ich weiterging.“
„Dieser verdammte Lüstling! Ich werde es nicht den Engländern überlassen, ihn zu töten, wenn er dich nicht in Ruhe lässt. Vielleicht solltest du von jetzt an im Hause bleiben, da das Kind schon so groß geworden ist. Lass Gilles deine Besorgungen erledigen.“
„Ich will nicht in der wärmsten Zeit des Jahres im Haus eingesperrt sein, solange ich mich noch gut bewegen kann“, entgegnete Elise eigensinnig. „Bald werde ich sowieso zu dick sein, um mehr zu tun als im Haus herumzuwatscheln. Hab keine Angst, ich nehme Gilles mit, wohin ich auch gehe, wenn du nicht da bist.“
„Nun gut, meine eigenwillige Schwester! Aber sei vorsichtig und meide Blanchard weiterhin!“
„Ich höre und gehorche, mein Bruder!“, versprach sie mit verdächtiger Fügsamkeit.
So leicht ließ Jean sich nicht täuschen. Er wusste, dass Elise genau das tun würde, was sie tun wollte. Sie war zu lange für sich selbst verantwortlich gewesen, nur unterstützt von dem merkwürdigen kleinen Zwerg. Er vermutete, dass es zu spät war, von ihr Fügsamkeit und Gehorsam zu erwarten, aber in Wahrheit war er eher stolz auf Elises mutige Natur.
Andererseits ließ er sich aber auch nicht von ihrer tapferen, scheinbar sorglosen Haltung gegenüber ihrer bevorstehenden Mutterschaft und den damit verbundenen Herausforderungen täuschen. Schließlich hatte sie keinen Gatten an ihrer Seite.
Jean hörte oft ihre Schritte oben auf den Dielenbrettern, wenn sie nachts in ihrem Zimmer auf- und ablief, oder er hörte das Bett knarren, wenn sie sich ruhelos herumwarf. Und er sah den Kummer in ihren Augen, wenn sie im Wachen von ihrem englischen Ritter träumte.
Jean lernte Elise erst jetzt wieder von Neuem kennen nach den Jahren der Trennung, aber er wusste, dass Elise sich auch nach der Geburt des Kindes nicht einem anderen, geringeren Mann zuwenden würde. Er war froh, dass Elise den derben Alain Blanchard nicht anziehend fand, doch es war traurig, dass in ihrem Leben kein Platz mehr für einen anderen Mann sein würde, wenn dieser Adam Saker nicht zu ihr zurückkehrte.
Ende Juli kam Gilles eines Morgens vom Markt nach Hause gerannt, als wäre ihm der Leibhaftige auf den Fersen. Elise saß auf einer Bank in dem kleinen, eingezäunten Garten hinter dem Haus und sonnte sich, während sie winzige Säuglingskleidung mit hübscher Stickerei versah.
„Madame! Madame! Die Nachricht verbreitet sich in ganz Rouen! Pont-de-l’Arche ist gefallen!“
Elise wurde kalt vor Angst. „Aber wie ist das möglich? Pont-de-l’Arche wird von Burgunds Truppen gehalten, und es liegt auf der anderen Seite der Seine! Jean sagt, sie hätten jedes Boot in der Nähe der Stadt verbrannt, um die Engländer daran zu hindern, überzusetzen, und dass der Übergang selbst durch eine Feste mit schweren Geschützen gesichert wird.“
„Aber es ist geschehen, Madame Elise. Es heißt, die Engländer hätten kleine Boote aus Weiden und Leder hergestellt und dann eine Brücke darüber gebaut!“
„Pont-de-l’Arche liegt zwischen Rouen und Paris“, sagte Elise nachdenklich. „Das bedeutet …“
„Wir sind abgeschnitten“, ergänzte der Zwerg.
So war es. Honfleur an der Mündung der Seine, östlich von Rouen, war im Februar gefallen. Und Pont-de-l’Arche war nur wenige Meilen flussabwärts von Rouen entfernt. Die Schlinge zog sich immer enger um die stolze, wohlhabende Hauptstadt der Normandie zu.
„Madame, innerhalb von wenigen Tagen wird Rouen selbst unter Belagerung stehen. Man wird die Tore schließen, und
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