HISTORICAL EXCLUSIV Band 23
ihre Häuser und Zunftgebäude keine Kosten zu scheuen.“ Er sah, wie seine Schwester beunruhigt die Stirn krauste.
„Aber Jean, wie kannst du so sicher sein, dass Rouen die Engländer abwehren wird? Vergiss nicht, ich habe sie mehrere Städte belagern gesehen!“
Jean tat ihren Einwand mit einer Handbewegung ab. „Bah! Argentan, Alençon und sogar Falaise sind nicht Rouen! Rouen ist die reichste Stadt Frankreichs und hat die beste Verteidigung, Schwester, seit der Herzog von Burgund die Führung übernommen hat! Le Bouteiller hat fünfzehntausend Soldaten, darunter zweitausend Artilleristen unter meinem Kommando! Die Mauern werden nicht nur durch Erdwälle verstärkt, sondern haben nicht weniger als sechzig Türme mit jeweils drei Geschützen …“
„Hör auf, hör auf!“, rief Elise lachend und hielt die Hand hoch, als wolle sie einen Angriff abwehren. „Ich bin beeindruckt von deinen Zahlen, Bruder! Ich finde nur, dass man die Tatsachen nicht unbeachtet lassen kann, und Tatsache ist, dass bisher keine Stadt gegen die Engländer durchgehalten hat. Und ich weiß, wie sehr Henry Rouen einnehmen will. Sobald diese Stadt ihm gehört, gibt es nichts mehr, das zwischen ihm und Paris steht!“
In Wahrheit war Jean im Stillen ebenso beunruhigt wie seine Schwester, aber da Elise jetzt im siebten Monat war, hatte er das Gefühl, eine sorgenfreie Haltung zeigen zu müssen. Wie konnte er Elise eingestehen, deren wohlgerundeter Leib jetzt ihren Zustand verriet, dass er nachts oft wach lag und sich fragte, ob es richtig von ihm gewesen war, seine Schwester in Rouen willkommen zu heißen. Schon als sie eintraf, war es allgemein bekannt gewesen, dass die normannische Hauptstadt bald das Ziel des Feindes sein würde. Hätte er sich geweigert, sie aufzunehmen, würde sie nach Paris weitergereist sein, so wie ihr englischer Gatte es gewünscht hatte. Und dort würde sie jetzt in Sicherheit sein, zumindest, bis Henry gen Paris marschierte.
Aber nein, er war zu erfreut gewesen, Elise nach so langer Zeit wiederzusehen, zu gerührt darüber, dass sie ihn aufgesucht hatte, und jetzt konnte seine Zuneigung zu seiner Schwester dazu führen, dass sie in einer belagerten Stadt in der Falle saß. Würde sie Hunger leiden müssen oder, was vielleicht noch schlimmer war, mit dem neuerlichen Zorn des englischen Königs konfrontiert werden?
Es war ihm schwergefallen, seine Bestürzung zu verbergen, als sie ihm schließlich gestanden hatte – vor einem Monat erst –, dass sie gesegneten Leibes war. Er hatte sie geneckt, wie gut ihr das neue Leben in Rouen und das gute, reichliche Essen bekam, so sehr, dass sie sich neue, weitere Kleider nähen musste. Da war sie plötzlich in Tränen ausgebrochen und hatte gestanden, dass sie von ihrem englischen Ritter ein Kind erwartete, das voraussichtlich im Herbst zur Welt kommen würde.
Jean wusste, dass Elise glaubte, es würde ihn abstoßen, dass sie das Kind eines Feindes unter dem Herzen trug. Vielleicht glaubte sie das immer noch, obgleich er ihr versichert hatte, dass es ihn lediglich störte, sie ihr Kind ohne seinen Vater bekommen zu sehen.
Daraufhin hatte sie nur gelächelt, ein madonnenhaftes Lächeln, das sie schöner erscheinen ließ, als sie je zuvor gewesen war. „Aber du wirst hier und dem Kleinen ein hingebungsvoller Onkel sein, nicht wahr, lieber Jean? Es tut mir leid, wenn es dich stört, aber ich bedaure nicht, dass ich dieses Kind erwarte.“ Und dann hatten sich ihre grünen Augen verschleiert und in die Ferne geschaut, und Jean wusste, dass sie an ihren englischen Ritter dachte, den sie für immer verloren hatte.
Jean stieß mit dem Fuß nach einem Kieselstein. Bei St. Denis, keine Frau, die ein Kind erwartete, sollte den Schrecken einer Belagerung ausgesetzt werden. Er wusste, dass keine Hoffnung bestand, dass Henrys Streitkräfte die von Jean so geliebte Stadt Rouen links liegen lassen würden, und er wusste auch, dass sie ebenso furchterregend waren, wie seine Schwester behauptete.
Früher hatte ihm die Vorstellung gefallen, Rouens reichhaltiges Sortiment von Geschützen auf die Engländer zu richten und zu beweisen, dass wenigstens diese Stadt nicht so einfach Henry von England in die Hände fallen würde. Jetzt jedoch – wegen Elises Anwesenheit in Rouen – wünschte er insgeheim, dass Le Bouteiller sich ergeben würde.
Er spürte ein Zupfen an seinem Ärmel und sah Elise an. „Jean, schnell! Hier herein!“, flüsterte sie und zog ihn in eine der vielen
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