Historical Exclusiv Band 44
bemerkte, dass sie wach geworden war, und richtete sich auf. „Wie geht es Euch?“, fragte er vorsichtig.
„Wo bin ich?“
„In einem Gasthof in Kensington. Es war ein weiter und beschwerlicher Weg hierher, aber Ihr habt das meiste davon nicht mitbekommen.“
„Das Feuer …“
„Ja.“ Anthonys Stimme klang grimmig. „Das höllische Inferno tobt noch im Osten. Man erzählt sich, der König habe sich selbst in die verwüsteten Stadtteile begeben, um zusammen mit seinem Bruder James die Löscharbeiten zu überwachen.“
Es war für Anthony schwer vorstellbar, dass der elegante König Charles mit der Hitze, den Rauchschwaden und dem Chaos rang. Vielleicht aber hatte sein Freund mehr von dem Mut aus den Tagen des Exils bewahrt, als er ihm zutraute.
Doch Sarah interessierte sich nicht für den König. „All diese armen Menschen! Sie verlieren ihre Häuser, ihre ganze Habe!“
„Und viele sind umgekommen“, fügte Anthony nüchtern hinzu. „Es wird lange dauern, um wiederherzustellen, was London diese letzten drei Tage verloren hat.“
Sarah versuchte, sich aufzusetzen. „Drei Tage!“
„Ihr habt seit gestern geschlafen, Liebste. Das Feuer ist am Sonntag ausgebrochen, heißt es. Am Montag, als ich in den Tower gekommen bin, um Euch zu holen, hat es sich weiter ausgebreitet, bis es die ganze Stadt bedrohte. Heute ist Dienstag.“
Sarah schüttelte den Kopf und versuchte, sich an den gestrigen Tag zu erinnern. Dann fiel ihr auf, dass jemand sie gebadet haben musste. Sie war gewaschen und trug ein weiches Baumwollkleid, das sie nie zuvor gesehen hatte.
Es passte ihr tadellos und war in einem einfachen Stil geschneidert, der auch ihrem eigenen Geschmack entsprach. Sie suchte sich die leichteste unter den vielen Fragen aus, die ihr plötzlich in den Sinn kamen. „Woher stammen diese Kleider?“
„Der Wirt und seine Frau waren so freundlich, sie für mich zu kaufen.“
„Konnten sie so schnell besorgt werden?“
Anthony blickte sie ruhig an. „Ich hatte sie bereits gestern Morgen in Auftrag gegeben, als ich das Zimmer mietete. Ich nahm an, dass ihr Eure Gefängniskleidung nicht auf Eurer Hochzeitsreise tragen wollt.“
Unvermittelt richtete sich Sarah auf. Jetzt erinnerte sie sich wieder an die Ereignisse des vergangenen Tages. Der Zorn stieg erneut in ihr auf. „Ich habe Euch bereits im Gefängnis meine abschlägige Antwort auf Eure Heiratsabsichten gegeben, Anthony. Meine Haltung hat sich nicht geändert.“
Anthonys Miene blieb gelassen. „Bevor wir weiter darüber sprechen, Sarah, habe ich eine Überraschung für Euch. Fühlt Ihr Euch bereit?“
„Wovon redet Ihr?“ Ihre Stimme klang ablehnend.
Anthony stand auf. „Ich bin gleich zurück.“
Sarah schloss die Augen und sank wieder erschöpft in die wohltuend weichen Kissen. Sie wünschte, sie wäre schon mehr bei Kräften. Denn sie musste versuchen, hier herauszukommen. Jetzt war sie frei, und angesichts der Verwirrung in der Stadt würde es zweifellos Tage oder Wochen dauern, bevor man im Gefängnis und bei Hofe wüsste, dass sie verschwunden war.
Irgendwie würde sie sich schon bis Yorkshire durchschlagen. Gewiss würde Onkel Thomas ihr helfen, von dort außer Landes zu kommen. Vielleicht würde sie denselben Weg benutzen, wie er für Pastor Hollander geplant war.
Die Kehle war ihr plötzlich wie zugeschnürt, als sie an den gutmütigen alten Landvikar dachte. Aber sie unterdrückte die Tränen. Sie konnte es sich nicht leisten, Erinnerungen an den Pastor oder an Jack heraufzubeschwören. Ich muss jetzt einen klaren Kopf behalten und handeln, sagte sich Sarah entschlossen.
Da sich ihre Muskeln verkrampften, wälzte sie sich herum und stieg aus dem Bett. Ich muss meinen Körper trainieren, schärfte sich Sarah ein. Anthony konnte jederzeit zurückkommen. Sie hatte bereits den halben Weg zur Tür zurückgelegt, als diese geöffnet wurde.
Sarah ließ enttäuscht die Schultern hängen. Sie würde auf eine andere Fluchtgelegenheit warten müssen.
„Sarah!“
Das war nicht Anthony. In der Tat vernahm sie eine Stimme, von der sie nie gedacht hätte, dass sie sie in dieser Welt noch einmal hören würde. Rasch hob sie den Kopf. Jack stand da, und seine breiten Schultern füllten einen großen Teil des Türrahmens aus.
Er trug sein Haar länger, und seine fremden Kleider ließen ihn wie einen Royalisten aussehen. Kaum etwas an ihm erinnerte noch an den puritanischen Jungen, den sie kannte. Aber es war ihr Bruder, lebend, gesund, und
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