Historical Exclusiv Band 44
gewonnen, dass er mit seiner Hilfe rechnen könnte.
Der alte weiße Turm erhob sich unmittelbar vor ihm. Anthony drehte sich im Kreis und versuchte, sich bei der Vielzahl der Gebäude, aus denen der Tower bestand, zurechtzufinden. Die Luft heute war sehr drückend. Sie schien im Moment selbst für Londoner Verhältnisse allzu schmutzig. Darüber hinaus herrschte eine merkwürdige Stille. Selbst die Vögel waren verstummt. Oder vielmehr bemerkte er, als er sich auf dem Hof umblickte, dass keine Vögel da waren. Es standen auch keine Wachen am Eingangstor. Was war nur geschehen?
Der Baron wandte sich nach Süden. Und da entdeckte er plötzlich die Ursache für all diese seltsamen Veränderungen. Was er heute Morgen noch als einen ungewöhnlich dichten Dunst wahrgenommen hatte, war bedrohlich schwarz geworden. Und statt über den Straßen der verkehrsreichen Altstadt zu schweben, türmte er sich im südöstlich Teil von London auf. Anthony stand da und beobachtete eine Weile den Himmel, bis ihm langsam die Bedeutung dessen, was er sah, dämmerte. London stand in Flammen!
Sarah hatte sich tapfer zurückgehalten. Aber jetzt, nachdem Anthony gegangen war, schaukelte sie nervös auf dem Bett hin und her. Die Tränen rannen ihr über das Gesicht. Ihr zitterten die Arme und Beine, als ob sie einen starken Schüttelfrost erleiden würde.
Nach Jacks letztem Besuch hatte sie gedacht, sie könnte alles ertragen. Sie hatte gewusst, dass sie nicht einmal mit der Wimper zucken würde, wenn man sie zur Hinrichtungsstätte führte. Denn nichts in diesem Leben war jetzt für sie noch von Bedeutung.
Aber sie hatte nicht damit gerechnet, Anthony jemals wiederzusehen. Seine Arme zu fühlen, seine Lippen, seine Liebkosungen. Es war wie in ihren Träumen. Seine Gesichtszüge erschienen ihr anziehender als je zuvor. Es kostete sie fast übermenschliche Kraft, sich immer wieder klarzumachen, dass sich hinter seinem anziehenden Äußeren ein Betrüger verbarg.
Er hatte sie angelogen und vorgegeben, in sie verliebt zu sein, während er ihre Familie bespitzelt und seine verführerischen Talente gleichzeitig bei ihrer Dienstmagd eingesetzt hatte. Seine Anstrengungen hatten zum Tod ihres Bruders geführt, den sie über alles geliebt hatte.
Deshalb konnte sie Anthonys Angebot, ihn zu heiraten, niemals annehmen. Lieber wählte sie den Tod, als sich durch Selbstverrat so zu demütigen.
Nach einer Weile beruhigte sie sich. Die Tränen waren versiegt. Das Zittern hatte nachgelassen. Sie holte mehrmals tief Luft und versuchte, sich zu fassen. Sie wollte stark sein, falls Anthony seine Drohung wahr machte und zu ihr zurückkehrte.
Sarah blickte zur Tür hinüber. Keine Wache war gekommen, um sie zuzusperren. In der Tat stand sie noch einen Spalt offen. Wie seltsam das war!
Sie schwang die Füße auf den Boden und stand auf. Schwankend durchquerte sie den Raum. Als sie durch die Gitterstäbe blickte, bemerkte sie kein Anzeichen, dass jemand da war. Langsam drehte sie sich um. Die Zelle selbst sah merkwürdig aus. Das Licht des späten Nachmittags war heute dunkler als sonst.
Das einzige Fenster in der Zelle war zu eng, als dass sie auf den Erdboden hinunterblicken konnte, aber der Ausschnitt des Himmels, der sich ihr darbot, zeigte eine seltsame graugelbe Färbung.
Schließlich hörte sie Geräusche unten in der langen dunklen Halle. Zweifellos würden die Wachen jetzt kommen, um sie wieder einzusperren, nachdem sie ihr Versäumnis entdeckt hatten. Sie setzte sich auf das Lager und wartete.
Als die große Tür geöffnet wurde, erschien jedoch anstelle des widerwärtigen Wächters Anthony. Seine Miene war streng und entschlossen.
„Vergesst unser Zerwürfnis, und streitet nicht mehr mit mir, Sarah! Es passiert gerade Unglaubliches. Hier im Gefängnis sind nirgends mehr Wachen zu finden, und es sieht aus, als ob die halbe Stadt ein Inferno geworden wäre.“
„Wovon redet Ihr?“
„London brennt. Man kann die Feuersbrunst vom Rasen unten aus sehen. Wir müssen uns beeilen, dass wir hier herauskommen.“
„Glaubt Ihr, dass das Feuer den Tower erreichen könnte?“
„Ich weiß es nicht. Tatsache ist jedoch, dass wir jetzt die Gelegenheit zur Flucht haben, und das müssen wir ausnutzen. Wir brechen sofort auf.“
Sarah zögerte. Sie wünschte, es wäre ihr möglich, einen klaren Gedanken zu fassen.
Anthony packte sie unsanft am Arm. „Ihr könnt mit mir mitgehen, oder ich trage Euch. Ihr habt die Wahl.“
Rasch blickte Sarah sich in
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