Historical Exclusiv Band 44
„Das ist die Lüge, die du dir selbst eingeredet hast.“
Erschrocken sah er sie an. In ihren Augen lag kein Urteil. Kein Vorwurf. Nur Mitleid, Zärtlichkeit und Verständnis.
Er widerstand ihrem Trost. „Du kannst es nicht wissen. Du warst nicht dabei.“ Er hatte so hart gearbeitet, in der Hoffnung, eines Tages genug Gerechtigkeit in die Welt bringen zu können, um seine Sünde wiedergutzumachen. „Mein Urteil war ihr Todesurteil. Das kann ich mir niemals verzeihen.“
„Wenn du das nicht tust, wird sie dich bei sich am Grund der Themse festhalten.“
Die Liebe in Solays Augen, als sie die Arme nach ihm ausstreckte, sprach von Vergebung.
26. KAPITEL
E inige Tage später saß Solay mit ihrer Mutter still im Wohngemach der Familie, als sie beschloss, das Thema William Weston anzuschneiden.
Justin hatte sich seiner Vergangenheit gestellt. Vielleicht könnte sie dasselbe tun.
Zur Vorbereitung auf den Fall las ihre Mutter verschiedene Dokumente. Seltsam, dass der geheimnisvolle William Weston ihr Leben ebenso vollständig beanspruchte, wie es einst der König getan hatte.
Sie erinnerte sich kaum an den Mann, den ihre Mutter geheiratet hatte. Er war in ihr Leben geplatzt, als sie elf war, und innerhalb von zwei Jahren war er wieder fort gewesen. Von diesen zwei Jahren hatte er die meiste Zeit damit verbracht, das Parlament davon zu überzeugen, Lady Alys’ rechtmäßiger Ehemann zu sein. Als er vor drei Jahren starb, hatten sie nicht einmal an seiner Beerdigung teilgenommen.
Und doch hatte er ihre Mutter geheiratet. Und die paar Male, die sie ihn gesehen hatte, hatte er zwar kaum mit ihr gesprochen, sie aber beobachtet wie ein Hund, der ein Reh verfolgt.
Sie machte noch einen Stich, dann ließ sie Justins Tunika sinken. „Was für ein Mann war William Weston?“
Ihre Mutter blickte von dem Pergament auf. „Warum fragst du?“
Solay strich die verbrannten Ränder des Stoffes glatt und zuckte die Achseln, als wäre die Antwort unwichtig. „Wie sollte ich nicht neugierig sein? Unser Leben und unser Prozess drehen sich um ihn. Hast du ihn gut gekannt, ehe du ihn geheiratet hast?“
Ihre Mutter sah ihr gerade ins Gesicht. „Er war am Hof. Man kennt die Leute am Hofe.“
„Habe ich ihn je dort gesehen?“
„Du warst sehr jung, und er war oft in Irland. Der König schickte ihn dorthin, um die Rebellion niederzuschlagen.“
„Wie war er?“
„Ein Mann. Nur ein Mann. Ganz bestimmt kein König.“
„Wie sah er aus?“
„Was spielt das für eine Rolle?“
„Ich will es wissen.“
„Es ist lange her.“
„Er war dein Ehemann. Erinnerst du dich nicht an ihn?“
Ihre Mutter seufzte. „Er war viel älter als ich.“
„Das war der König auch.“
„Soweit ich mich erinnere, war er groß, stark und hatte sehr dunkles Haar.“
„Welche Farbe hatten seine Augen, Mutter?“
„Blau, wie die des Königs, aber dunkler.“
„Wann hast du ihn geheiratet?“
„Ich weiß es nicht mehr.“
Solay sah sie ungläubig an. „Du weißt es nicht mehr? Wie kannst du dich nicht an deine Hochzeit erinnern?“
Und doch gab es vieles, an was ihre Mutter sich nicht erinnerte. An ihren Geburtstag. An Janes Geburtstag.
„Welchen Unterschied macht das?“
„In diesem Prozess macht es einen großen Unterschied.“ Ihr ganzes Leben lang hatte sie gewusst, dass es einige Dinge gab, über die nicht gesprochen wurde. Sie hatte nie gefragt. Aber das war vorbei. „Justin vertraute mir, und ich vertraute dir. Aber dennoch hast du keinen Beweis, dass du diesen Mann je geheiratet hast, und jetzt sagst du, du kannst dich nicht einmal daran erinnern?“
Auf den Wangen ihrer Mutter erschienen rote Flecken. „Du bist grausam und weißt gar nichts.“
„Ich weiß, dass du nicht die ganze Wahrheit sagst.“ Solay drückte den Stoff von Justins Tunika in ihrer Faust zusammen und stand auf. „Wenn Justin den Fall verliert, wird es nicht allein sein Fehler sein.“
Ihre Mutter presste die Lippen zusammen, und Solay verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.
Sie brachte die Flickarbeit in ihre Kammer und ging dann in Justins Arbeitszimmer. Er sollte wenigstens wissen, was ihre Mutter gesagt hatte.
An der Tür blieb sie stehen und genoss den Anblick des geraden, breiten Rückens, den sie noch am Morgen vor dem Aufstehen berührt hatte. Einen Moment lang spielte sonst nichts eine Rolle. Wenn sie doch nur den Rest der Welt für immer aussperren könnten.
Als sie seufzte, drehte er sich um und lächelte. Der Stapel
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