Historical Exclusiv Band 44
es außer der Gräfin auch einen Grafen gab, von dessen Existenz er vorher keine Ahnung gehabt hatte. Die Geliebte war nicht bereit, Reichtum und Titel für einen Engländer aufzugeben, der sich auf der Flucht befand und außer unsicheren Zukunftsaussichten nichts zu bieten hatte. Einige Tage später hatte es einer gewagt, Oliver wegen dieses Liebesabenteuers zu necken. Der Spötter verlor beim Duell ein Stück von seinem Ohr. Nach diesem Vorfall machte niemand mehr eine Bemerkung, wenn Oliver sich weigerte, an Bällen teilzunehmen.
„Pferde sind wenigstens treu“, erwiderte Oliver. „Sie sind zufrieden damit, einen Herrn zu haben, und machen, was von ihnen verlangt wird.“
„Auch Frauen können durchaus redlich sein, mein Freund“, meinte Anthony in mildem Tonfall. „Und ich habe es noch nicht aufgegeben, Mistress Fairfax davon zu überzeugen, das zu tun, was ich für richtig halte.“
„Von mir aus könnt Ihr Euren Sport treiben, Rutledge. Trotz allem – vergesst nicht, ihr Onkel gehörte zu den Männern, die den mächtigsten König der Welt bekämpften. Und auch diese Mistress Fairfax macht auf mich nicht den Eindruck, als besäße sie ein sanftes Wesen.“
Anthony lächelte. „Das scheint mir eine interessante Herausforderung zu sein.“
Oliver richtete sich seufzend auf und wandte sich zur Tür. „Dann kehrt Ihr zu Euren Tändeleien zurück, Rutledge. Ich habe zu arbeiten.“
Sarah stand draußen mit einigen Einheimischen, die sich geweigert hatten, in ihre Häuser zurückzukehren. Ihre schlanke Figur stach einem beim Anblick der Gruppe sofort ins Auge, obwohl sich Anthony nicht sicher war, ob das an ihrer Haltung lag oder der einfachen Tatsache, dass sie die schwarzsamtene Reitkleidung trug. Er sah ihre besorgte Miene, als er näher kam.
„Was hat man mit dem Pastor vor?“, fragte sie ihn.
Anthony bemerkte die ängstlichen Gesichter der Leute, die sie umringten. „Er ist offensichtlich nicht der maskierte Räuber, nach dem gesucht wird. Doch er scheint in Verbindung mit den gestohlenen Gegenständen etwas zu wissen. Falls jemand von den Umstehenden den Landvikar Hollander entlasten kann, sollte er sich den Oberen anvertrauen.“
Alle schwiegen. Anthony konnte keinerlei Schuldbewusstsein in den verschlossenen Mienen entdecken. Er seufzte. Falls der Landvikar wirklich in die Schandtaten verwickelt war, bedeutete dies, dass es sich nicht um einen einzelnen Schurken, sondern um eine ganze Bande handelte. Möglicherweise war sogar der ganze Ort daran beteiligt. Und die guten Leute sahen ihn ganz ernst an, obwohl sie den Räuber genau kannten.
Anthony musterte Sarah argwöhnisch. Er hatte den Eindruck, auch sie wusste die Antwort, nach der er suchte. Wer konnte solchen Einfluss auf die Einwohner haben, dass eine so große Verschwörung von allen getragen wurde? Ihr Onkel, sicherlich, doch wie Oliver schon vermutete, schien das nicht sehr wahrscheinlich. Vielleicht war es der junge Mann, den er mit Sarah zusammen gesehen hatte.
Nach einigen Augenblicken räusperte sich Bürgermeister Spragg und ergriff das Wort: „Wir wissen überhaupt nichts über die Angelegenheit, Eure Lordschaft.“ Mehrere der Umstehenden nickten bekräftigend.
Anthony wandte sich an Sarah. „Nehmt Ihr es in Kauf, den Pastor im Gefängnis schmachten zu lassen?“
„Es sieht so aus, als ob wir keine Wahl hätten“, gab sie ärgerlich zurück.
„Werden sie den Vikar aufhängen, Mistress Sarah?“ Die ängstliche Frage kam von einem etwa zehnjährigen Jungen, der ein schmutziges Engelsgesicht und einen dichten braunen Haarschopf hatte.
Sarah machte einen Schritt auf den Kleinen zu, kniete sich nieder und legte einen Arm um die Schultern des Knaben. „Sie werden ihn bestimmt nicht hängen, Benjamin. Pastor Hollander ist kein Dieb, und ich bin sicher, dass die Verantwortlichen das bald erkennen werden.“
„Seine Hände waren mit Ketten gefesselt.“ Der Junge sah sie mit großen Augen fragend an.
„Das machen sie mit jedem Gefangenen, Ben. Aber die Ketten werden wieder aufgeschlossen, wenn der Pastor freikommt. Aber weiß deine Mutter eigentlich, dass du hier auf dem Platz bist?“
Der Junge blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.
„Dann solltest du lieber schnell nach Hause laufen, bevor sie sich Sorgen um dich macht. Du kannst dem Vikar nicht helfen, wenn du hier herumstehst.“
Sie richtete sich wieder auf und blickte die Gruppe an. „Ich denke, dass keiner von uns noch einen Grund hat hierzubleiben.
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