Historical Exclusiv Band 44
Unter dem Dachvorsprung des Kerkers herrschte Dunkelheit, doch Clarence meinte, dass das Gesicht der Person eine Maske verdeckte.
„Sind im Gebäude noch mehr Wächter?“, fragte die Stimme.
Clarence verneinte.
„Gib mir deine Pistole. Vorsichtig! Fasse sie umgedreht am Lauf an!“ Clarence fühlte die Stahlklinge an der Kehle. Langsam zog er die Waffe aus dem Gurt und übergab sie.
„Und jetzt lauf über die Wiese. Wenn du sehr schnell die andere Seite erreicht hast, werde ich vielleicht nicht auf dich schießen.“
Clarence sprang auf, ängstlich darauf bedacht, das große Pferd zu umgehen, und rannte los. Als er auf der anderen Seite der Wiese angekommen war, hielt er atemlos an, drehte sich langsam um und blickte zum Gefängnis zurück.
Im Mondschein war das Gebäude gut zu sehen. Die Tür zum Haus stand offen, und die geheimnisvolle schwarze Person war im Innern verschwunden. Wenn der Mann mir meine Pistole nicht weggenommen hätte, sagte sich der Wärter, würde ich mich zurückschleichen und ihn fassen. Doch was konnte man schon ohne Waffe gegen einen so schrecklichen Feind ausrichten? Die beste Lösung würde sein, in das Lager der Garde, das sich am Ortsrand befand, zu eilen und Alarm zu schlagen.
Tinker lief los. Captain Kempthorne würde sehr erbost über diesen nächtlichen Vorfall sein.
Sarah suchte verzweifelt nach den Schlüsseln für die einzige Zelle, die sich in dem Gefängnis befand. „Pastor!“, rief sie leise. Sie konnte ihn in der Dunkelheit nicht sehen.
Sie hörte ein Rascheln in dem ganz im Finsteren liegenden Raum hinter den Gitterstäben und dann ein erstauntes „Sarah?“
„Ja, ich bin es. Ich bin gekommen, um Euch zu befreien.“
„Mein Kind …“ Die Stimme des Pastors klang krächzend und schwach.
„Wisst Ihr, wo sie den Schlüssel aufbewahrt haben?“, fragte sie drängend. Jede Schublade im Schreibtisch des Sheriffs hatte sie schon aufgezogen und durchwühlt, aber bislang nichts gefunden. Ihr Herz klopfte vor Aufregung wie wild. Dieses Problem hatte sie nicht bedacht.
Als sie sich den Schlachtplan für die Befreiungsaktion in der heutigen Nacht zurechtgelegt hatte, musste sie sich auch über die Tatsache klar werden, dass sie möglicherweise zum ersten Mal in ihrem Leben gezwungen sein würde, einem anderen Menschen körperliches Leid zuzufügen.
Sie hatte ihr Steinschlossgewehr mit zitternden Händen geladen in der Hoffnung, dass sie nicht in die Lage kommen würde, den Abzug betätigen zu müssen. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte es vor dem Gefängnis in Wiggleston noch nie eine Wache gegeben. Doch die Mauern hatten auch noch nie einen gefährlicheren Bösewicht als den ortsbekannten Säufer Cyrus Green beherbergt. Jetzt, da der Sheriff einen Gefangenen des Königs zu beaufsichtigen hatte, musste sie davon ausgehen, dass Wärter aufgestellt waren. Nur die Anzahl hatte sie nicht gewusst. Deshalb war sie sehr erleichtert gewesen, als sie nur auf einen vor dem Eingang dösenden Mann gestoßen war, und hatte bemerkt, dass es sich um einen jungen Burschen handelte, der nicht viel älter als Jack sein konnte.
Aber sie hatte nicht an die Schlüssel gedacht. Was sollte sie machen, wenn der Sheriff sie mit zu sich nach Hause genommen hatte?
Der Landvikar hielt sich an einem Ende des Feldbettes fest und zog sich in die Höhe. „Sie befinden sich an einem Ring. Und den hängen sie, glaube ich, immer an die Wand.“
In dem Raum war es stockdunkel, und Sarah wusste nicht, wo sie eine Kerze finden konnte. Mittlerweile bereute sie, dass sie den Wärter hatte laufen lassen. Denn nun hatte er die Möglichkeit, Alarm zu schlagen. Sie tastete die Wand ab und begann, sich langsam vorwärtszuarbeiten. Die Hände wurden ihr ganz kalt.
„Welche Wand war das, Pastor?“
„Sarah, Ihr hättet nicht …“
„Welche Wand?“, wiederholte sie mit schriller Stimme.
„Da drüben bei der Tür.“
Sie durchquerte das Zimmer, stolperte über einen Stuhl und streckte den Arm aus, um die Wand zu finden. Ihre Hand fühlte Holz, dann Metall und sie stieß einen erleichterten Seufzer aus.
So schnell wie möglich packte Sarah den Schlüsselbund, eilte durch den Raum und schloss die große Eisentür auf. „Wie geht es Euch, Pastor? Meint Ihr, dass Ihr fähig seid, mit mir zu reiten?“
Der Landvikar stützte sich an den Eisenstangen ab, als sie die Zellentür öffnete, und zog sie in die Arme. „Leichtsinniges Kind“, schalt er. „Immer bringt Ihr Euch in Gefahr, um anderen
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