Historical Exclusiv Band 44
entzweien.“
Sarah richtete sich überrascht auf. Sie beobachtete Anthony, während er einen Becher aus Leder mit Wein füllte. Schon wieder zeigte sich dieser Getreue des Königs unvermutet von einer gänzlich unbekannten Seite.
„Die meisten Gelehrten sind der Meinung, dass es keinen Weg gibt, die Glaubensinhalte der Puritaner und der Anhänger der Kirche von England zu vereinen“, begann sie vorsichtig.
„Ich denke, dass es besser wäre, wenn viele dieser Gelehrten sich weniger in den staubigen Bibliotheken und öfter an der frischen Luft aufhalten würden. Dann würden ihre klugen Köpfe vielleicht eher eine Lösung finden“, entgegnete er.
„Seid Ihr nicht der Ansicht, dass die Glaubensinhalte der Puritaner an Ketzertum grenzen, wie Eure Kirchenführer behaupten?“
Anthony bot ihr den Becher Wein an. „Wenn ich ein Mann der Kirche wäre, würde ich viele Ideen der puritanischen Denker übernehmen.“
„Nennt mir ein Beispiel.“ Sarah konnte einfach nicht glauben, dass der Baron sich die Mühe machte, bei so schwierigen Themen wie den Lehrmeinungen der Kirchen eine eigene Überzeugung zu entwickeln.
„Nun, eine Sache ist, dass ich wie Prynne glaube, dass jeder Mensch für seine Erlösung selbst verantwortlich ist.“
„Habt Ihr etwa die Werke von Prynne gelesen?“
Anthony nahm Sarah den leeren Becher lächelnd wieder ab. „Sogar in London beschäftigen wir uns gelegentlich mit ernsthafteren Dingen als Vergnügungsspielen, Mistress Fairfax“, schalt er sie sanft.
Sein Lächeln berührte sie zutiefst. Anthony Rutledge war eindeutig ganz anders, als sie sich einen Gefolgsmann des Königs vorgestellt hatte. Tatsache war, dass sie noch niemals einen Mann wie ihn kennengelernt hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Schwierigkeiten, sich auf ihre Aufgaben zu konzentrieren.
Sie sollte sich endlich um die dringendsten Angelegenheiten kümmern, anstatt hier turtelnd herumzusitzen mit einem Mann vom Hofe, der ein Profil hatte wie eine römische Statue und so geschliffen sprach wie ein griechischer Gelehrter.
Unvermittelt sprang sie auf. „Ich bedaure, dass ich unser Gespräch abbrechen muss, Mylord, aber es ist höchste Zeit, dass wir den Sheriff aufsuchen.“
„Captain Kempthorne ist mit seinen Männern ausgeritten. Ich weiß leider nicht, wo Ihr ihn antreffen könntet. Es tut mir leid, Euch keine genauere Auskunft geben zu können.“ Sheriff Jeffries hievte sich schwerfällig aus dem schmalen Sessel hinter dem Schreibtisch.
„Dann möchte ich Pastor Hollander sehen, Mr Jeffries, egal ob mit oder ohne die Erlaubnis von Captain Kempthorne.“ Sarahs Miene drückte jene wilde Entschlossenheit aus, die Anthony schon an ihr kannte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.
„Der Captain hat angeordnet, dass niemand zu dem Gefangenen vorgelassen werden darf. Sie werden ihn morgen nach London transportieren.“
„Nach London!“
Jeffries nickte. „Ja, in das Gefängnis am Neuen Tor.“
Sarah fühlte sich, als wenn sich ihr Magen umdrehen würde. Sie blickte auf den Baron, der versuchte, sie zu beruhigen. „Sie wollen ihn sicher möglichst schnell aus Wiggleston schaffen. Seine Gefangennahme hat hier im Ort für einen mächtigen Wirbel gesorgt. Es wird für alle Seiten besser sein, wenn er weg ist.“
„Auch für den Landvikar?“, fragte Sarah empört.
Anthony schwieg. Wo um alles in der Welt trieb sich Oliver herum? Er hatte seit dem gemeinsamen Frühstück in Leasworth gestern nichts mehr von ihm gehört. Nun hatte sein Freund offenbar den Entschluss gefasst, den Pastor wegzubringen, ohne ihn vorher wenigstens darüber zu informieren. Und Anthony konnte dessen Befehle nicht außer Kraft setzen, denn dann würde bekannt werden, dass er derjenige war, den der König mit dieser Mission beauftragt hatte. Eine Tatsache, die Sarah hoffentlich nie erfahren würde.
„Bitte, Sheriff“, schmeichelte Sarah.
Im Kokettieren hatte sie zwar nicht die Erfahrung der Hofdamen, aber für Anthony war klar, dass ihr mit dem Blick, mit dem sie Jeffries eben ansah, Dutzende von Kavalieren zu Füßen liegen würden. Der Sheriff jedoch richtete sich nur noch einmal in seinem Stuhl auf und schüttelte bedauernd den Kopf.
„Verlangt das bitte nicht von mir, Mistress Fairfax. Captain Kempthorne könnte ebenso entscheiden, auch noch mich in den Kerker nach London mitzunehmen.“
Sarah stemmte die Fäuste in die Hüften. „Habt Ihr vielleicht die Güte, mir einen Boten zu senden, wenn
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