Historical Exclusiv Band 44
passenden Worten. „Ihr seid der wichtigste Mann, der mir jemals begegnet ist“, meinte er schließlich unsicher.
Anthony schüttelte die kleine Hand mit ernster Miene und blickte dem Jungen nach, als er sich abwandte und rasch die Straße entlanglief.
Wichtig. Dieses Wort traf genau das Gefühl, das Anthony während der letzten Wochen empfunden hatte, als er dabei half, die Probleme dieses kleinen Ortes zu lösen. Erst war es um die Zwangsabgaben für den König gegangen, und dann galt es, Verbesserungen für den landwirtschaftlichen Anbau zu erreichen. Nicht alle, aber doch einige der Bauern rund um Wiggleston waren damit einverstanden, einen wechselnden Fruchtanbau auszuprobieren, anstatt wie früher das Land brachliegen zu lassen, damit sich der Boden wieder erholte. Anthony hatte ihnen erzählt, dass sie Grünfutter pflanzen sollten. Die Schafe könnten dort weiden und die Erde gleichzeitig mit natürlichem Dünger versorgen.
Die Leute hier waren nicht dumm. Anthony hatte Achtung vor ihnen und ihrem Wissen über Ackerbau. Und er hatte bemerkt, dass es ihm Spaß machte, Seite an Seite mit ihnen zu arbeiten. Er verstand nun viel besser, was es für Sarah bedeutet haben musste, diese Menschen auf alle erdenkliche Weise zu unterstützen, auch wenn sie dabei gegen das Gesetz verstieß und sich in Gefahr begab.
Er vermutete, dass ihn das Hofleben nach all diesen Erlebnissen anekeln und langweilen würde. Seit er von Paris nach London zurückgekehrt war, erschien ihm das gesellschaftliche Leben in den höheren Kreisen höchst oberflächlich. Und die Damen …
Aber das war natürlich ein anderes Thema. Es war ihm in den vergangenen Monaten keine einzige Frau begegnet, die ihn interessiert hätte. Diese Tatsache überraschte ihn nicht. Keine von ihnen hatte diese Katzenaugen und dieses feurige Temperament.
Er erreichte die Abzweigung nach Leasworth und gab seinem Pferd die Sporen, als er in der Ferne sah, dass der Knecht Arthur das Pferd von Oliver in den Stall führte. „Sind die Besucher schon eingetroffen?“, rief er.
Arthur grinste breit. „Ja, Sir. Sir Thomas wird sehr froh darüber sein.“
Anthony sprang aus dem Sattel, warf dem Jungen die Zügel zu und eilte dann zum Herrenhaus hinauf. Sie erwarteten ihn bereits im großen Empfangssaal: Sir Thomas, Oliver … und Jack, der abgemagert und blass, aber so weit unversehrt schien.
Als Anthony hereinkam, rief Jack überrascht: „Lord Rutledge!“ Gleich darauf blickte er seinen Onkel scharf an und wartete auf eine Erklärung.
„Anthony ist mein Gast, Jack.“
Ungläubig blickte Jack ihn an. „Das kann nur ein schlechter Scherz sein! Ihr werdet mir doch nicht erzählen, dass Ihr diesen Mann beherbergt. Er ist verantwortlich dafür, dass Sarah monatelang in einer schmutzigen Gefängniszelle ausharren musste!“
Thomas erhob sich aus dem Sessel und ging auf seinen Neffen zu. „Er ist aber auch derjenige, der für deine Freilassung gesorgt hat, mein Junge.“
Jack blickte von Anthony zu Oliver, der bestätigend nickte. „Anthony hat Eure Einberufung zur Marine in die Wege geleitet. Er verhinderte, dass man Euch den Prozess machte und Euch vermutlich wegen Raubes gehängt hätte.“
Jack hatte offensichtlich Mühe, diese Neuigkeiten zu verkraften. „Ich verstehe die Zusammenhänge nicht.“
„Es war nicht so schwierig, wie es vielleicht den Anschein hat“, unterbrach Anthony ihn. „Der Aussage Eurer Schwester zufolge seid Ihr in die Überfälle nie richtig verwickelt gewesen. Ich musste nur ein paar der Verantwortlichen auf diese Tatsache hinweisen.“
Jack hatte sich von seinem Gefängnisaufenthalt noch nicht ganz erholt. Er fühlte, wie ihm die Knie plötzlich weich wurden. Schnell steuerte er auf den nächsten Stuhl zu und setzte sich. „Könnte ich mit Lord Rutledge ein paar Worte unter vier Augen sprechen?“, fragte er Oliver.
Der warf einen Blick auf Anthony. Dieser nickte zustimmend. „Lasst uns bitte allein“, meinte er.
Oliver verließ, gefolgt von Sir Thomas, den Raum. Die großen Doppeltüren schlossen sich hinter ihnen.
Anthony ließ sich in einem Sessel gegenüber von Jack nieder. Sarahs Bruder massierte sich kurz die Knie, dann blickte er dem Baron in die Augen und fragte ohne Umschweife: „Was geschieht mit meiner Schwester?“
Anthony war etwas überrascht. Es gab mehrere Gesichtspunkte, unter denen man sein Verhalten Sarah gegenüber beurteilen konnte. Er war alles andere als zufrieden mit seiner Haltung, obwohl er
Weitere Kostenlose Bücher