Historical Exclusiv Band 44
und ihre Wut, die sie für Anthony empfand, bei ihrem letzten Treffen deutlich zum Ausdruck gebracht. Er hatte ihre Gastfreundschaft unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ausgenützt, ihren Onkel betrogen und seine Schwester verführt. Jack hatte sich vorgenommen, ihn dafür zum Duell zu fordern, wenn er ihm jemals wieder unter die Augen trat.
Doch nun war sein Ärger seltsamerweise verschwunden. Es lag an dem Ausdruck in Anthonys Augen, wenn er von Sarah sprach. Und an seiner Reaktion über die Nachricht, dass sie noch in der Angst lebte, ihr Bruder wäre hingerichtet worden. Jack fühlte, dass der Baron viel mehr für Sarah empfand, als er zugab.
Möglicherweise hatte sich seine Schwester ein falsches Bild von ihm gemacht. Vielleicht hatte er sie nicht aus purem Eigennutz in sein Bett gelockt, sondern echte Zuneigung für sie entwickelt. Eine Liebe, die so stark war wie die von Sarah.
Offensichtlich hielt Onkel Thomas den Baron nicht für heimtückisch, sonst hätte er ihn nicht eingeladen. Selbstverständlich wusste der Onkel nichts von dem Liebesabenteuer zwischen Anthony und Sarah. Jack hatte ebenfalls beschlossen, ihm diese Tatsache zu verschweigen. Die ältere Generation dachte über diese Dinge ganz anders.
„Werdet Ihr sie selbst besuchen?“, fragte Jack vorsichtig.
„Nein. Aber ich sorge dafür, dass sie die Nachricht erhält. Das verspreche ich Euch.“
„Beabsichtigt Ihr sie niemals wiederzusehen? Wollt Ihr sie im Gefängnis verkommen lassen?“
Anthony drückte die Armlehnen seines Sessels so fest mit den Händen, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Es ist nicht meine Angelegenheit“, erwiderte er dann scheinbar gelassen.
„Sie sitzt mittlerweile seit Monaten in dieser Zelle und hat noch nicht einmal eine Gerichtsverhandlung gehabt.“
„Ja. Dieser Umstand ist wirklich ungewöhnlich. Ich vermute, dass die Ankläger nicht recht wissen, was sie mit ihr machen sollen. Eurem Onkel habe ich bereits geraten, sich an die nächsthöhere Instanz zu wenden, um die Angelegenheit zu beschleunigen.“
Jack beobachtete, wie Anthony nervös die Hände über den Löwenköpfen, die den Abschluss der Armlehnen auf jeder Seite bildeten, öffnete und schloss. Offensichtlich war ihm das Schicksal von Sarah nicht egal. Jack fühlte Hoffnung aufsteigen. „Mein Onkel kennt leider nur wenige Leute in London. Wir bräuchten einen Mann von Eurem Format, der sich für Sarah einsetzt.“
„Der Fall muss erst durch die verschiedenen Instanzen gehen. Das braucht eine gewisse Zeit.“
„Aber Sarah geht es nicht gut.“
Anthony blickte ihn erschrocken an.
„Was meint Ihr damit?“
Jack blieb keine seiner Regungen verborgen. „Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie so dünn, dass ich anfangs dachte, es lägen nur ein paar Lumpen auf dem Bett.“
„War sie krank?“
„Das konnte ich nicht beurteilen. Aber ich weiß, dass sie langsam dahinsiecht. Wenn sie noch einige Monate in dieser Zelle zubringt, wird nichts mehr von ihr da sein, was man retten könnte.“
Anthony blickte zum Kaminfeuer, in dem es knisterte. Eine Zeit lang starrte er gedankenverloren in die züngelnden Flammen. Schließlich drehte er sich zu Jack um und erklärte: „Ich werde mich an den König wenden und versuchen, ihn zu bewegen, das Verfahren zu beschleunigen.“
„Ihr werdet nicht selbst zu ihr gehen?“, fragte Jack erneut.
„Sie würde mich gar nicht sehen wollen.“ Anthonys Miene drückte Verbitterung aus.
Jack verzog das Gesicht. „Da könntet Ihr durchaus recht haben. Sarah vertritt eine sehr klare Meinung über bestimmte Dinge, und sie ändert ihre Ansichten nicht leicht. Aber wenn sie wissen würde, was Ihr für mich getan habt, würde sie sicher mit Euch reden.“
Anthony gab dem hölzernen Löwen einen Klaps, ehe er sich erhob. „Es hätte keinen Zweck, glaubt mir. Aber ich verspreche Euch, dass ich mich für Eure Schwester einsetzen werde.“
Jack war mit diesem Ergebnis noch nicht zufrieden, aber der Baron wollte das Gespräch offensichtlich beenden. Er stand ebenfalls auf. Nach kurzem Zögern reichte er Anthony die Hand. „Ich danke Euch“, sagte er.
Anthony verstand, dass diese Geste ein Friedensangebot war, und ergriff die Hand herzlich. „Seid Ihr damit einverstanden, bei der Marine zu dienen?“, fragte er ihn.
Jack lächelte ihn offen an. „Das ist genau die Laufbahn, für die ich mich selbst schon vor einiger Zeit entschieden hatte. Ich habe nur bislang noch nicht den Mut gefunden,
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