Historical Exklusiv Band 06
einem englischen Satz, der sie bis über beide Ohren erröten ließ.
"Kommen Sie!" flüsterte Fünfter Neffe und winkte aufgeregt mit beiden Armen.
Sarah eilte ihm nach und versuchte indes ohne besonderen Erfolg, nicht auf die Geräusche zu hören, die aus den Zimmern drangen, an denen sie vorüberkamen. Als der Junge die Tür zu einem kleinen, schwach beleuchteten Raum öffnete, wusste sie, dass ihr Gesicht so rot sein musste wie das Seidentuch, das hinter der Tür hing. Zu ihrer Erleichterung war der Raum leer. Sich zur Ruhe mahnend, wandte sie sich an ihren Begleiter.
"Kommt der Kapitän hierher?"
Fünfter Neffe neigte den Kopf. "Ja, Große Schwester. Jede Nacht dasselbe." Er scheuchte sie hinein. "Sie warten, er kommt. Dann gehen wir, schnell-schnell."
Als sich die Tür hinter ihrer aufgeregten Eskorte geschlossen hatte, holte Sarah tief Atem. Sie musste unbedingt ihre Wangen kühlen und ihre Gedanken sammeln für das wichtige Treffen mit dem skandalumwitterten Lord Straithe.
Wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte, dann hatte James Kerrick die Straße, die zu seinem Ruin führen sollte, vor acht Jahren betreten. Er war damals Lieutenant bei der Königlichen Marine gewesen und in einer höchst kompromittierenden Situation mit der Gemahlin seines Admirals ertappt worden. Die Tatsache, dass er gerade in einer der letzten Seeschlachten der napoleonischen Kriege für außerordentliche Tapferkeit ausgezeichnet worden war, konnte nicht verhindern, dass er in Ungnade fiel. Unehrenhaft aus der Marine entlassen, geschnitten von der Gesellschaft, wurde er sogar gemieden von seinem unduldsamen älteren Bruder, der sein Verhalten aufs höchste missbilligte. Unbeeindruckt hatte James sich ein eigenes Schiff gekauft und befuhr seither einen Weg der Vergnügungen und des Lasters.
Sarah hatte gehört, dass der Bruder vor einigen Jahren kinderlos gestorben war, und so hatte der ehemalige Marineoffizier den Titel Viscount Straithe geerbt. Dennoch war es dem Bruder gelungen, sich an dem schwarzen Schaf, das Unehre über die Familie gebracht hatte, zu rächen, indem er noch kurz vor seinem Tod den Familiensitz an einen landgierigen Squire verkauft hatte. Die Folge war, dass Straithe jetzt zwar den Titel innehatte, sonst aber keinerlei Vermögen besaß.
Es fiel Sarah sehr schwer, sich an einen solchen Mann um Hilfe zu wenden, doch er war ihre einzige Hoffnung. Unglücklicherweise hatte er bisher nicht im Geringsten den Eindruck erweckt, ihr helfen zu wollen. Mehrere Male hatte sie ihm Briefe geschickt, in denen sie ihn bat, in einer dringlichen Angelegenheit in der Mission vorzusprechen, doch er hatte es nicht einmal für nötig befunden, ihr zu antworten. Als sie versuchte, durch seinen Handelsvertreter mit ihm Kontakt aufzunehmen, hatte er den Angestellten angewiesen, sie mit einer Spende für die Mission abzufertigen und ihn zu entschuldigen, mit der Erklärung, dass der Kapitän zu beschäftigt sei, um sich mit Angelegenheiten der Kolonien aufzuhalten.
Offensichtlich ist er nicht zu beschäftigt für regelmäßige Besuche im "Haus der tanzenden Blüten", dachte Sarah etwas pikiert. Nun, zumindest hatten Straithes Gewohnheiten, so abstoßend sie auch sein mochten, ihr eine Gelegenheit gegeben, ihn persönlich aufzusuchen.
Sie schob ihren Hut aus dem Gesicht und sah sich in dem kleinen Raum um. Er war für die ernsthafte Unterredung, die sie mit Straithe zu führen gedachte, nicht eben ideal ausgestattet. Abgesehen von einem niedrigen Tisch aus lackiertem Holz in der Ecke, auf dem eine Teekanne aus Porzellan, einige henkellose Tassen und eine Schale mit Obst standen, war das einzige Möbelstück ein Bett. An drei Seiten wurde es umschlossen von einem Vorhang, auf dem Szenen dargestellt waren, die Sarah das Blut in die Wangen trieben. Es stand auf einem Podest und beherrschte ganz entschieden den Raum.
Sie wandte den Blick von diesen erotischen Malereien ab und zwang sich, daran zu denken, dass sie kein Schulmädchen mehr war, das sich von solchen vulgären Zurschaustellungen einschüchtern lassen durfte. Schließlich hatte sie ihre Mutter gepflegt während des Kindbettfiebers, das sie am Ende dahinraffte, hatte ihre Brüder und Schwestern versorgt, wenn sie krank gewesen waren, genau wie viele der Schäfchen aus der Herde ihres Vaters. Sie war Krankheit und Tod öfter begegnet als die meisten anderen Frauen ihres Alters und ihrer Herkunft. Dennoch musste sie sich einen Augenblick lang mit dem Ärmel Kühlung
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