Historical Exklusiv Band 06
liebsten alles und jeden in seinen Krallen gehalten hätte. Cromwells scharfe dunkle Augen musterten Nick. Er hob leicht den Kopf. Eine Schar von Gehilfen und Lakaien hinter sich, eilte er durch den Raum und rief Nick zu: "Spencer! Sein Bein bereitet ihm Schmerzen. Er ist angestrengt und überlastet, beschimpft alle. Behandelt ihn mit Vorsicht!"
Nick wollte noch eine Frage stellen, aber Cromwell war bereits verschwunden. Was die Warnung anbetraf – er, Nicholas, ließ ohnehin immer die gebotene Achtsamkeit beim Umgang mit dem König walten. In diesen letzten fünf Jahren, in denen sowohl das Alter als auch der Umfang des Königs zugenommen hatten, war Nick immer darauf bedacht gewesen, den König nicht in solchen männlichen Beschäftigungen wie Kegeln, Bogenschießen oder Ballspielen zu schlagen, selbst wenn das für ihn ein Leichtes gewesen wäre.
Die letzte Reihe der Wachen hielt ihre Hellebarden zur Seite und öffnete das Portal zu dem prächtigen, wenn auch nicht allzu großen Kabinett, in dem der König alle nicht offiziellen Besucher empfing. Nick nahm sein flaches Samtbarett ab und verneigte sich tief vor dem Monarchen, den er nicht nur als seinen Herrscher verehrte, sondern ebenso als seinen Lehrer und Pflegevater.
"Nick, mein guter Mann!" Henry Tudor war überaus kostbar gewandet und neigte zur Begrüßung leicht das Haupt.
Es war noch nicht lange her, dass der König bei solchen Gelegenheiten "mein Junge" oder "mein Bursche" gerufen hatte, aber inzwischen war Nick dreißig Jahre alt geworden. Dennoch erschien es ihm immer wieder genauso wie in den ersten herrlichen Tagen. Damals hatte hier in Whitehall der stämmige rothaarige Monarch den hoch aufgeschossenen, schmalen schwarzhaarigen Jungen ausgewählt, weil er in bewundernswerter Weise mit der Lanze immer wieder die hölzerne Stechpuppe getroffen hatte, an der beim Turnierkampf geübt wurde. Zwar war die Zeit vorbei, da Ritter diese Kampfweise noch in der Schlacht gebrauchten, doch als höfische Vergnügung wurden Turniere immer beliebter. Damals hatte sich Nick so verlassen gefühlt am Hofe, denn seine verwitwete Mutter war wieder eine Ehe eingegangen und nach York gezogen. Er war nur einer unter vielen in der Schar der Pagen gewesen, bis er die Gunst des Königs erworben hatte.
Aber die Erinnerung verblasste, und auch das Bild jenes Königs war dahingeschwunden. Jetzt mischten sich graue Haare in den roten Schopf, und das berüchtigte Temperament der Tudors hatte sich bei dem Monarchen gefährlich gesteigert. Dennoch verehrte Nick diesen Mann nach wie vor.
Ein paar Schritte ging Nicholas auf den König zu, ehe er sich nochmals verneigte. Henry Tudor saß an einem Tisch und signierte Dokumente. Sein krankes Bein lag auf einem mit Kissen ausgepolsterten Schemel. Er schob die Papiere beiseite und winkte die beiden Schreiber, die ihm diensteifrig zur Seite standen, hinweg und richtete wie üblich in vertrauter Weise das Wort an Nick, als sei niemand weiter anwesend.
"Ich kann mich nicht dafür entschuldigen, dich von deinem kleinen Besitztum in Greenwich zurückgeholt zu haben", begann er und hob seine mit kostbaren Ringen geschmückte Hand. "Ich brauche dich nämlich wieder."
"Und ich bin bereit, Majestät."
"Um genauer zu sein, die Festungen, die ich an der Küste von Kent gegen einen Überfall der Franzosen bauen lasse, brauchen dich, insbesondere die in Deal. Ich habe den Obermeister meiner Steinmetze, Franklin Stanway, dort mit ungefähr fünfhundert Bauleuten, aber sie schaffen es mir nicht schnell genug, mit dem Bau voranzukommen."
Nick schlug das Herz schneller. Er war noch nie in Deal gewesen. Es sollte ein ziemlich schäbiges Dorf sein. Bei Hofe war man verwundert darüber gewesen, dass der König eine neue, stark befestigte Burg an einem Ort errichten ließ, den er noch nicht einmal des Marktrechtes für würdig erachtete. Doch Nick wusste, dass Deal an einem langen, steinigen, ungeschützten Strand lag, der des Schutzes gegen die Franzosen jenseits des Ärmelkanals bedurfte.
"So wünscht Ihr also, dass ich mich dorthin begebe, um etwas Feuer dahinter zu machen, Majestät?"
"Viel mehr als das. Nick, mein guter Mann, du hast endlich ein eigenes Kommando verdient. Ich ernenne dich hiermit zum Lord Lieutenant der Veste Deal mit unbegrenzten Vollmachten für die ganze Grafschaft, um unsere Küste dort zu schützen."
Stolz richtete sich Nick auf. Der König ächzte, als er sein bandagiertes Bein vom Schemel hob, und scheuchte die
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