Historical Exklusiv Band 06
Handlanger des Königs unbedingt will, mag sie mit ihm zur Hölle gehen!"
Tante Bess faltete die plumpen Hände. "Du hast das Temperament deines Vaters, wenn ihm das Blut zu Kopfe stieg. Das ist nicht gut für eine Frau, wenn es auch ein hartes Leben für dich war, seit wir ihn und Murray verloren haben."
Trotz dieses sanften Vorwurfs erhob sich Rosalind und schloss ihre Tante in die Arme. "Ich wollte nicht unmäßig sein, liebe Muhme. Es ist nur alles so schwierig geworden, seitdem der König hier diese bedrohliche Festung bauen lässt …", sagte sie.
"Die wir indes brauchen werden, wenn die Franzosen, mit denen du glaubst, ganz vergnügt Handel treiben zu können, eines Tages unsere Küste überfallen!"
"Ja, natürlich", räumte Rosalind ein. "Aber, Sakrament, wir pfeifen darauf, dass des Königs Männer ihre Zelte auf unserm Strand aufschlagen, so willkommen uns ihre Münzen in unseren Schatullen sind."
Tante Bess schob Rosalind auf Armeslänge von sich weg und betrachtete sie eindringlich. "Ich muss dir sagen, dass die Seemannsflüche, die du aufgeschnappt hast, mir sehr missfallen. Du verschaffst unserem Gasthof und auch den Männern das tägliche Brot. Doch solltest du dein Temperament zügeln und deine Zunge hüten. Der Lord Lieutenant Seiner Majestät wird niemandem wohlgesonnen sein, der unsern Herrn König verflucht."
"Dieser König ist nicht mein Herr und wird es nie sein, ebenso wenig wie sein Lord Lieutenant oder ein anderer seiner Vasallen."
"Oder besser gesagt, irgendein Mann überhaupt. Und du selbst schuftest viel zu viel", brummte die Muhme leise vor sich hin, während sie kopfschüttelnd die Kammer verließ. Beim Öffnen der Tür drang das Gewirr männlicher Stimmen aus der überfüllten Schankstube herüber.
Rosalind stieß einen tiefen Seufzer aus und fuhr fort mit ihrer Tätigkeit.
Schon zu den Zeiten von König Heinrichs Vater hatten Rosalinds Vater und seine Freunde den Schmuggel begonnen, um sich das Leben etwas erträglicher zu machen. Sie schafften solche Dinge herbei wie Wein, Spitze, Seide, Leder und Stahl im Austausch für Wolle und bare Münzen. Die Tudors forderten sehr hohe Zölle für Waren aus fremden Ländern, um ihre gefräßige Privatschatulle zu füllen.
All die Jahre hatte das Haus Tudor in Pracht und Überfluss gelebt, während sich die kleinen Leute im Lande um jeden Bissen raufen mussten. Die Bewohner von Deal hatten immer um ihr Überleben ringen müssen. Die Felder waren steinig und der Fischfang war gefährlich, da oft Stürme und Unwetter tobten. Einen kleinen Gewinn holten die Seeleute von Deal herein, wenn sie ihr Leben aufs Spiel setzten, um die Matrosen zu retten, deren Schiffe an den tückischen Goodwin Sands gescheitert waren, direkt vor der Küste, nahe den Downs. Dort in dem flachen Wasser fanden Wasserfahrzeuge vieler Nationen einen sicheren Ankerplatz, bis ein Südoder Südwestwind aufkam und sie nach Westen trieb.
Bei Ostwind aber bargen die Downs viele Gefahren. Anker wurden aus dem Grund gerissen, Taue gingen in Fetzen, und Schiffe kollidierten oder liefen auf Grund. Dann traten die Seemänner aus Deal auf den Plan, manövrierten gestrandete Schiffe in offenes Wasser oder retteten die Überlebenden, wenn ein Segler zerschellt war. Doch der gefährliche Fischfang und die noch gewagtere Rettungsarbeit boten nur einen kärglichen Lebensunterhalt in einem Ort, dem der König nicht einmal das Marktrecht verliehen hatte. Für die meisten Dinge des täglichen Lebens mussten die Bürger von Deal fünf Meilen bis nach Sandwich laufen, dem nächstgelegenen vom König anerkannten Marktort.
Und so blühte und gedieh all die Jahre der Schmuggel in Deal. Wenn der König nur versucht hätte, dem Einhalt zu gebieten, würde Rosalind Verständnis dafür gehabt und sich damit abgefunden haben. Aber viel Schlimmes geschah.
Vor etwa drei Jahren waren die Kutter von Deal wieder einmal ausgefahren, um ein Schiff in Seenot zu retten. Als stolze Engländer, die sie trotz ihres Schmuggels waren, brachen sie beim Anblick des königlichen Banners und der Tudor-Rose am Heck in Jubelrufe aus, denn sie sahen es als Ehre an, Seeleute eines königlichen Schiffes zu retten. Bei dieser Hilfsaktion verloren sie einen Kutter. Die wagemutigen Männer kannten das Risiko und nahmen es in Kauf. Für Rosalind aber bedeutete es den Verlust des Vaters und ihres Ehegatten Murray Barlow. Wenn es der einzige Verlust gewesen wäre, hätte sie sich ihrer Trauer hingeben und dann ohne
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