Historical Exklusiv Band 06
über die Reling lehnte und seine Befehle herüberrief. Sein Lederwams glänzte vom Regen. Das ebenholzschwarze Haar klebte an seinem Kopf. In diesem Augenblick gab es nichts auf der Welt, das Rosalind mehr hasste – und fürchtete.
"Wir hatten's uns geschworen – nie wieder! Was sollen wir tun?" Wats Stimme löste ihre Erstarrung.
Rosalind wandte den Blick von dem Mann über ihr auf dem Segler ab. Er hatte drohend die Faust gegen sie erhoben! Die Männer im Boot sahen sie an und hielten inne.
"Holt die Lakaien des Königs herunter!" rief sie. "Dann werden wir weitersehen."
2. Kapitel
Das Boot arbeitete sich näher an die gestrandete königliche Fregatte heran. Der Sturm heulte unaufhörlich, und die Wellen schleuderten Trümmer des geborstenen Schiffes über die Ruderer, als sie sich mit allen Kräften mühten, ihr Boot in Stellung zu bringen. Obwohl auf ihre Hilfe angewiesen, erlaubte sich der Lord, ihnen noch Befehle zu erteilen! Rosalind hätte am liebsten zurückgeschrien. Glaubte der Mann denn, erfahrene Seeleute wüssten nicht selbst, wie sie die Rettung bewerkstelligen mussten?
Das Ruderboot krachte an den Rumpf des großen Schiffes und wurde mit jeder Woge auf und ab geschleudert. Noch bevor sie Halteseile und Enterhaken auswerfen konnten, ließ der Lord Lieutenant bereits einen Mann an einem Tau herab. Und ehe die Insassen darauf vorbereitet waren, taumelte der Schiffbrüchige ins Boot und riss beinahe Wat von seinem Platz.
"Wir halten mit den Enterhaken!" schrie Wat. "Keine Extravertäuung! Haltet euch bereit, sie zu kappen, wenn das Schiff sinkt!"
Das wird es nicht wagen, dachte Rosalind, während sie Wasser schluckte. Dieser arrogante Höfling wird es nicht untergehen lassen, bis alle nach seinem Willen gerettet sind!
Der teuflische Wettkampf mit der Zeit und dem Unwetter ließ sie erzittern, aber mehr noch taten das ihre wilden Empfindungen. Ihr Rachedurst kämpfte mit dem Gefühl der Pflicht zur Rettung Schiffbrüchiger. Ihre Sorge um diese stritt mit dem Hass auf ihren grausamen König. Wenn die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen würde, dachte Rosalind, dann müssten diese Männer mit ihrem Leben zahlen für die Seeleute aus Deal, die vor drei Jahren zugrunde gegangen waren.
Inmitten des Tobens der Elemente musste sie an Murray denken. Er war ihr Jugendfreund gewesen und ihre Hochzeit ebenso eine Liebesheirat wie ein Freundschaftsbund. Von Kindheit an waren langsam und stetig die Gefühle und Bindungen zwischen ihnen gewachsen und aufgeblüht. Ruhig und zufrieden hatten sie gelebt, selten uneins oder gar im Streit. Der einzige Schatten auf ihrer Ehe war die Tatsache, dass sie keine Kinder hatten. Rosalind liebte ihre Familie von Herzen, aber Murray oder ein Kind von ihm war doch etwas anderes. Sein Bild erstand vor ihren Augen: strohblondes Haar, blaue Augen, ein Lächeln. Stark und doch einfühlsam war er gewesen. Dann versank die Erinnerung wieder in dem Wirbel um sie herum.
Die Stimme des fremden Mannes gellte ihr in den Ohren wie Trompetenstöße. "Der Nächste kommt! Haltet fest!" kam seine Anweisung von oben.
Erneut schlug einer der Seeleute im Boot auf, durchweicht und frostgeschüttelt, und die Leine wurde wieder emporgezogen. Es blieb ihnen keine andere Wahl, als ihn tun zu lassen, was er sich vorgenommen hatte. Die gefährliche Lage des Schiffes machte es für die verbliebenen Männer unmöglich, sich auf die Sandbank zu retten. Es gab keine Leiter und kein Fangnetz auf dieser Seite, und es wäre Wahnsinn, in das schaukelnde, auf den Wellen tanzende Boot hinabspringen zu wollen. Der nächste Seemann wurde herabgelassen, dann noch einer und noch einer, bis sich nur noch zwei Mann an die Reling klammerten.
In Rosalinds Kopf tobten die Gedanken. Steif vor Kälte und Entsetzen saß sie am Ruder, während der Fremde ihrer aller Leben in die Hand nahm und seines dabei aufs Spiel setzte. Würde er von der untergehenden Fregatte mit in die Tiefe gerissen werden? Und wenn nicht, würden ihre schlimmsten Befürchtungen Wirklichkeit werden? Seine bloße Anwesenheit konnte das Ende der Schmuggler bedeuten, selbst wenn er jetzt noch nichts von ihnen wusste. Percy Putnam und seinen Gehilfen an der Nase herumzuführen war die eine Sache. Dem neuen Lord Lieutenant gegenüber musste sie sehr viel vorsichtiger, so viel schlauer sein.
Rosalind hielt die Hand vor die Augen, um sie einen Moment vor Wind und Regen zu schützen, und blickte dann wieder empor. Der Fremde war groß und kräftig,
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