Historical Exklusiv Band 06
mit den Schmugglern, die sie doch aufspüren und unschädlich machen sollten. Aber Percy ritt nie zum Strand hinab, wo er ihnen hätte begegnen können. Dafür brachte er Neuigkeiten mit aus Sandwich, wo Rosalinds ältere Schwester Nan mit ihrer Familie wohnte, und solche aus der großen weiten Welt.
Dennoch ärgerte es Rosalind, wenn sie bemerkte, dass sein Blick auf ihr ruhte. Zumindest stellt er mir nicht offen nach, dachte sie. Sein linkes Bein war von Kindheit an kürzer als das andere. Doch anstatt ihn voller Unbehagen abzulehnen, schenkten ihm die Männer und auch Rosalind ihr Mitgefühl, obwohl sie ihn nicht besonders mochte. Im Gegensatz zu Megs Möchtegernliebhaber hielt sie Percy Putnam für ziemlich harmlos, sowohl als Steuereinnehmer als auch als Mann.
"Entschuldigt, Percy. Ich suche meine Schwester."
"Sie ist oben und macht großes Aufhebens um die Wäsche, die sie draußen getrocknet hatte", berichtete er in vertraulichem Ton. "Sie sagte, sie habe sie aus dem Gebüsch gerettet. Ein Sturm kommt auf."
"Das stimmt. Ich bin sicher, Alf oder Ned ist hinaus, um die Downs nach Schiffen in Gefahr abzusuchen."
Plötzlich begann sie der eindringliche Blick aus seinen wasserblauen Augen wieder zu stören. Vielleicht war es auch das verstärkte Klappern der Schindeln auf dem Dach, das sie in Aufregung versetzte. Sie musste sich darum kümmern, dass die Bedachung ausgebessert wurde, zu allem anderen, was sonst noch auf ihr lastete.
"Ihr entschuldigt mich." Schnell eilte sie hinter Percys Rücken die Stiegen empor, um ihre Schwester zur Rede zu stellen.
"Aber Franklin und ich lieben uns wirklich", beharrte Meg mit feuchten Augen, als Rosalind ihr Vorwürfe machte. "Er ist die Freundlichkeit in Person und trägt mir so zärtliche Gedichte vor!"
Rosalind rümpfte die Nase. "Ein Mann, dessen Aufgabe es ist, Steine zu zerschlagen, kennt keine zärtlichen Verse! Bei allen Heiligen, Meg, ich traue keinem, der …"
"Du traust überhaupt keinem Mann", murrte die sonst so scheue, fügsame Margaret. Sie war im Gegensatz zu der blonden Rosalind braunhaarig, dazu größer und kräftiger als die zierliche, anmutige Schwester. Aber trotz ihrer Größe und Kraft wusste Meg nur zu genau, wer tonangebend war im Hause.
"Wir sprechen von dir, Meg, nicht von mir. Ich will nicht, dass du dich zusammen mit der Muhme mir widersetzt und über mich herziehst!"
"Wir sprechen nur über dich, weil wir uns Sorgen machen. Wir …"
"Rosalind! Rosalind! Bist du oben?"
Beide Frauen liefen auf die lauten Rufe ihres Vetters Alf zur Tür. Neben seiner Tätigkeit als Hufschmied war Alf Deland Fischer wie die meisten Männer im Ort und mit seinem Bruder Hal, dem Fassmacher, Tante Bess' achtundzwanzigjährige Zwillinge. Jeder besaß sein eigenes Häuschen. Dennoch hatte die Muhme kürzlich Hal, als er krank geworden war, hierher in den Gasthof geholt, damit die Familie nicht angesteckt wurde. Sowohl Alf als auch Hal waren breitschultrige, kraftstrotzende Männer, die nur mit der Kraft der eigenen Arme bis nach Frankreich rudern konnten. So war jedermann sehr betroffen gewesen, als Hal plötzlich erkrankt war.
"Was ist, Alf?" rief Rosalind.
"Es hat ein Schiff erwischt, eine Fregatte. Sie ist auf Grund gelaufen, und die Männer klettern gerade auf die Sandbank. Die ganze Besatzung könnte draufgehen, und wir sollten drei unserer Kutter zu Wasser bringen. Wie geht's Hal?"
"Das Fieber ist vorüber, aber er ist schwach wie ein Säugling." Rosalind sprang die Stiegen hinab und hörte das durchdringende Sturmläuten von der Kirche. "Ich werde den Platz von Hal an den Rudern übernehmen." Ungeachtet der Proteste von Alf und Meg schob sie die beiden beiseite und überhörte auch Percys vorwurfsvolles Murmeln: "Nur weil Euer Vater und Euer Gemahl draußen geblieben sind …"
Mit Nachdruck schlug sie die Tür der Kammer hinter sich zu, in der die Wetterkleidung für die Fischer aufbewahrt wurde. Es stimmte nicht, was Percy gesagt hatte, obwohl sie manchmal selbst das Gefühl hatte, sie tue alles zum Gedenken der Toten. Vor allem jedoch wollte sie helfen. Und irgendwie reizte sie auch die Herausforderung.
Meg war ihrer Schwester gefolgt und begann nun, auf sie einzureden. "Bitte, Meg", unterbrach Rosalind das Geschnatter, "hilf mir in das Zeug." Sie streifte Mieder und Hemd ab, dann Rock und Unterröcke und zog sich eine derbe Männerhose an. Meg half ihr mit den hohen geölten Stiefeln, knotete das grobe Fischerhemd in der Taille der Schwester
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