Historical Exklusiv Band 06
zusammen, das diese sich übergeworfen hatte, und reichte ihr die Schafslederjacke, die sich wie Pergament anfühlte. Rosalind griff nach ihren Ruderhandschuhen. Die Lederkappe verdeckte ihr Haar, und niemand würde nun noch eine junge Frau in ihr vermutet haben.
"Ich bin immer in Sorge, wenn du auf See gehst, aus welchem Grund auch immer." Meg umschlang die nun ganz unförmig aussehende Gestalt. "Und ich bin traurig, wenn wir uneins sind."
Rosalind gab ihr einen kleinen Klaps auf die Wange. "Ich auch. Aber ich will nur dein Bestes, wirklich! Und ich war schon oft auf See und werde vorsichtig sein. Pass du hier auf."
Behindert von der schweren Kleidung, stapfte Rosalind hinaus zu einem wartenden Ochsenkarren, der sich mit Männern in dem gleichen Aufzug füllte. Es wurden nur wenige Worte gewechselt, während der Karren durch das regenüberströmte Tal ratterte und dann den Strand entlang bis zu den Booten. Einige der Männer gehörten zu den Schmugglern. Sie alle bewunderten Rosalind, und niemand von ihnen sprach ihr das Recht ab, bei solch gefährlichen Unternehmungen mitzumachen, auch wenn das für eine Frau ungewöhnlich war.
Am Strand warteten schon die Helfer, um die Boote zu Wasser zu bringen. In Deal kannte natürlich jeder jeden. Alle waren in irgendeiner Form in den Schmuggel verwickelt und sei es auch nur durch die Lagerung oder den Weitertransport der Ware.
Rosalind hatte die gesamten Ersparnisse zusammengekratzt, um einen der Kutter zu ersetzen, die auf Befehl des Königs zerstört worden waren. Dann hatte sie weiter geknausert und gespart, um zur Anschaffung eines weiteren Bootes beitragen zu können und damit die ärgste Not lindern zu helfen. Als die Leute wieder auf Fischfang gehen und auch die belebten französischen Häfen aufsuchen konnten, um den Handel mit Branntwein, Gewürzen, Leder und anderen Gütern wieder aufzunehmen, konnte ein drittes Boot erworben werden. Den Gasthof hatte Rosalind geerbt, die Achtung der Schmuggler jedoch hatte sie sich verdient, so dass sie die tatkräftige junge Frau zu ihrer Anführerin gemacht hatten.
Alf und Wat Milford halfen ihr ins Boot. Mit festen Händen ergriff sie die Ruderpinne am Heck des Bootes.
"Halt fest!" rief Wat.
Rosalind stemmte ihre Füße auf den schrägen Boden des zwanzig Fuß langen Kutters, der von sechs Männern gerudert wurde. Alle Muskeln gestrafft, erwarteten sie den Befehl zum Wassern. Der stämmige Wat Milford, Braumeister von Deal, schrie: "Los!", und mit einem kräftigen Stoß der Helfer rumpelte das Boot über eingefettete Stämme den Strand hinab. Diese Abfahrt erregte Rosalind immer wieder. Der Kutter ritt über die erste Welle und klatschte auf die zweite. Sie blinzelte und leckte Salzwasser von den Lippen. Eine gute Fahrt! Mit all ihrer Kraft hielt sie die Ruderpinne, während das Boot über die sturmgepeitschte See schlingerte.
"Zur Hölle!" rief Wat, als das schief auf den todbringenden Goodwin Sands liegende Schiff in Sicht kam.
Rosalind verdrehte sich fast den Hals. Wie ein großer grauer Schatten hing ein Schiff über der Stelle, die die Seeleute dieser Gegend den Schiffsschlund getauft hatten. Wasser schlug gegen den geborstenen Rumpf, und der Sturm zerrte an den Segelfetzen. An die Reling geklammert, winkten ein paar Männer von Deck. Die beiden anderen Kutter waren bereits dabei, die Schiffbrüchigen von der Sandbank aufzunehmen. Plötzlich hörte Rosalind, wie Alf einen derben Fluch ausstieß. Die Ruderer hielten ein und erstarrten wie zu Stein. Um ein Haar hätte eine hohe Welle Rosalind das Ruder aus der Hand gerissen.
Vor ihnen, eingelassen in das Heck des gestrandeten Schiffes, leuchtete die goldene Tudor-Rose. Es war das erste königliche Schiff, das wieder auf den Sands leckgeschlagen war, seitdem Rosalinds Unglück begonnen hatte und auch ihr Durst nach Rache.
"Ihr dort drüben!" erklang eine tiefe, dunkle Stimme von Deck. "Ihr Männer dort im Boot, kommt näher! König Heinrichs Leute brauchen eure Hilfe. Rudert heran! Ich bin Nicholas Spencer, der neue Lord Lieutenant der Veste Deal. Tut, was ich sage! Ich werde die Männer zu euch herunterlassen, ehe die Flut das Wrack mitreißt."
Rosalind starrte durch das höllische Toben von Wind und Regen. Sturzbäche von Wasser rannen ihr über Gesicht und Nacken und durchweichten Brust und Rücken. Der harte Klang dieser Stimme ließ sie erbeben. Der Mann sah so groß aus und – trotz der Gefahr, in der er selbst schwebte – bedrohlich, wie er sich
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