Historical Exklusiv Band 06
Bitterkeit im Herzen ihr Leben weiterführen können. Die niederträchtige Handlungsweise des Königs aber hatte die Lage völlig verändert.
Nicht nur dass der König Lohn und Dank verweigerte, nicht einmal zur Kenntnis nahm, dass Bewohner von Deal ihr Leben hingegeben hatten, um seine Seeleute zu retten; die Männer von Deal hatten auch kein einziges Goldstück dafür bekommen, dass sie die Geretteten in ihren Häusern untergebracht, verpflegt und auf ihre Kosten nach London zurückgeschafft hatten. Nur zwei Wochen später wurde die Lebensgrundlage des Dörfchens, alle Boote bis auf den letzten Kutter, von königlichen Soldaten mit der Begründung vernichtet, Deal sei eine Brutstätte des Schmuggels und raubte der Krone ihre rechtmäßigen und geziemenden Einkünfte.
"Rechtmäßig!" In Erinnerung daran kam das Wort wie ein Zischen durch Rosalinds zusammengebissene Zähne. "Nichts ist rechtmäßig und geziemend an diesem König! Ich schwöre aufs Neue, dass wir alles tun werden, um die Krone um ihre angeblich rechtmäßigen Einkünfte zu bringen! Auch wenn der schreckliche König diese neue Festung mitten in unser Gebiet setzt und seinen verdammten blatternarbigen Lord Lieutenant hierher schickt, um uns zu belauern. Bei allen Heiligen, ich schwöre es!"
Rosalind nahm den kleinen Beutel voller Münzen und ging zu ihrem Bett. Vorsichtig stieg sie auf den Strohsack. Über dem Kopfende, von einem Wandbehang verdeckt, befand sich in der Mauer ein kleines Geheimfach. Dort hinein legte sie den Beutel und schloss dann sorgfältig ab.
Das kleine Gemach im Gasthof war ihr eigenes Reich. Hier hielt sie sich auf, wenn ihre Zeit es erlaubte, und hier schlief sie. Niemandem außer Tante Bess und ihrer Schwester war es gestattet einzutreten. Doch auch sie durften nichts anfassen oder gar aufräumen. Sie sprang von der Bettstatt und ging zur Tür.
Über die Falltür zu dem Geheimgang hatte Rosalind einen dicken Strohteppich gebreitet und darauf einige leere Weinkrüge gestellt. Sie würde diesen Fluchtweg nur in äußerster Not benutzen, auch wenn sie auf ihm viel schneller zu ihrer geliebten See käme. Vom Fenster her konnte sie sonst in der Ferne den eintönigen Wellenschlag hören. Doch heute war es im Hause zu laut dazu. Werkleute auf dem Heimweg vom Festungsbau füllten den Schankraum, und der Wind heulte. Mit ihrem Gespür für das Meer fühlte Rosalind den herannahenden Sturm.
Sie machte die Tür hinter sich zu und begab sich in die lärmerfüllte Gaststube. Dort wimmelte es von Bauleuten, die einen kräftigen Trank forderten. Manchmal hatte Rosalind nicht übel Lust, all diese Knechte des Königs davonzujagen, doch andererseits gab es ihr eine merkwürdige Befriedigung, ihnen das Geld wieder abzunehmen, das sie von Heinrich VIII. als Lohn erhielten.
Aber ihr war auch bewusst, dass ihre Familie wieder einmal einen zu hohen Preis zahlen musste für das aufblühende Geschäft im Gasthof "Rose und Anker". In den ersten Monaten des Festungsbaues, als für die Erbauer nur primitive Unterkünfte am Strand zur Verfügung gestanden hatten, hatte Franklin Stanway, der Obersteinmetz des Königs, im Wirtshaus Quartier bezogen – trotz des enormen Geldes, das Rosalind dafür verlangte. Und hier nun war er der neunzehnjährigen Margaret begegnet und für sie in Liebe entbrannt. Rosalind, die allzu junge Witwe von einundzwanzig Jahren, hatte geschworen, sie würde eher sterben, als zuzulassen, dass eine von König Heinrichs Kreaturen ihre geliebte Meg heiratete und zu ihrer Familie gehören würde. Oder noch schlimmer, wenn er nur, wie die meisten Männer aus London hier, Vergnügen im Bett suchte und Meg unglücklich machte. Rosalind musste sie warnen. Das war ihr klar geworden, da die Muhme ein gutes Wort für Franklin Stanway eingelegt hatte.
Als Rosalind um die Ecke zur Haustreppe bog, stieß sie auf Percival Putnam, den Steuereintreiber aus Sandwich. Obwohl er im Dienste des Königs stand und die Aufgabe hatte, den Schmugglern das Handwerk zu legen, war es ihm dennoch gelungen, die Zuneigung der Bevölkerung zu gewinnen. Wie immer, wenn seine freundlich blinzelnden Augen sie erblickten, verzog er die Lippen zu einem breiten Lächeln. Die blassen Wangen und das strohblonde Haar ließen ihn fade wirken.
Als Percy eines Tages in Deal erschienen war, hatte Rosalind keine andere Möglichkeit gesehen, als ihn und seinen Gehilfen Roger Shanks im Gasthof aufzunehmen. Hier standen die beiden dann ahnungslos Schulter an Schulter
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