Historical Exklusiv Band 06
Natürlich konnten sie nicht unbekümmert im Hafen anlegen, und so mussten sie einen ziemlichen Fußmarsch in Kauf nehmen, bis sie das Stadttor in der Nähe des Hafens erreichten. Da während der Dunkelheit niemand in die Stadt eingelassen wurde, hatten sie noch etwas Zeit hinter sich zu bringen, bevor sie es wagen konnten, sich unter das hineinund herausströmende Völkchen zu mischen.
Nichts hatte sich verändert, seitdem sie zum letzten Mal hier gewesen war. Die hohe Stadtmauer umgab den Hügel, auf dem die Altstadt lag mit ihren spitzgiebeligen Häusern aus grauem Mauerwerk und den zum Teil mit Kopfsteinen gepflasterten Straßen. An den meisten Fenstern zur Seeseite waren die Läden gegen den kühlen Wind geschlossen. Kaum konnte sie den schnellen Schritten folgen, mit denen Nick auf das Tor zueilte. Der sprachkundige White sagte etwas auf Französisch zu dem Torwächter und steckte ihm auch einige Münzen zu. Sie durften passieren. Nick atmete auf. Rosalind hatte sich beinahe gewünscht, dass sie entdeckt würden, aber das wäre auch für sie unangenehm geworden.
Wie in der Festung Deal fühlte sich Rosalind gefangen, zusammen mit Nick innerhalb der Mauern. Aber das lag nur an ihrem Verhältnis zu ihm; die Stadt war ihr vertraut und schreckte sie nicht. Doch sie wusste, dass sie mit Nick zusammen hier in höchster Gefahr schwebte!
"Ihr seid also noch nie in Frankreich gewesen?" forschte Nick, als sie durch die belebten Hafenanlagen schlenderten.
"Ich finde, es ist hier auch nicht viel anders als zu Hause, mit Ausnahme der Sprache und wahrscheinlich der Speisen", erwiderte Rosalind.
"Ich habe Euch gefragt, ob Ihr zuvor schon einmal in Frankreich gewesen seid!"
Rosalind bemerkte, wie er das Kinn zornig vorschob. Offensichtlich hatte er ihre Absicht durchschaut, ihn abzulenken, und so musste sie wohl einen anderen Schlachtplan entwerfen.
Hin und wieder stieß einer seiner Leute zu ihnen, wechselte verstohlen ein paar Worte mit Nick und verschwand erneut. Sie waren in zwei Gruppen unterwegs, geführt von jeweils einem der beiden Sprachkundigen. Glücklicherweise erschien gerade in diesem Augenblick Perkin Rich wieder und unterbrach das Verhör. Während die Männer miteinander flüsterten, blickte Rosalind mit abgewandtem Gesicht angestrengt über das Hafenbecken und hoffte inständig, dass niemand vorbeikam, der sie möglicherweise erkannte. Sie spähte über den Wald der zahlreichen Masten, über die zum Trocknen aufgehängten Netze und die Reusen aus Weidengeflecht.
Doch Nick war schnell wieder bei ihr, nahm ihren Arm und zog sie zu den bevölkerten Piers. Dort kam er wieder zu den Fragen zurück, denen Rosalind zuvor versucht hatte auszuweichen.
"Ihr seid am Abend so lange auf, Rosalind. Sicher habt Ihr manchmal des Nachts gehört oder gesehen, wie ein Packzug durch Deal gekommen ist – kleine dunkle Maultiere mit umwickelten Hufen, die Räder der Karren wahrscheinlich mit Hanf umhüllt. Das Weitere könnt Ihr Euch ja denken."
Das konnte Rosalind, in der Tat, doch sie hütete ihre Zunge. Nick kaufte von einem Bauernmädchen, das einen Korb trug, zwei große Äpfel, biss herzhaft in einen hinein und gab den anderen Rosalind. Offensichtlich will er keinen Streit mit mir, stellte diese erleichtert fest. Seine Stimmung zu erkennen, war ihr sehr hilfreich, so konnte sie sich immer dementsprechend einstellen und auf ihn eingehen. Vielleicht würde es ihr auf diese Weise gelingen, zugänglich und bereitwillig zu erscheinen. Als habe sie nicht die geringsten Sorgen auf dieser Welt, machte sie sich ebenfalls über ihren Apfel her.
"Als allein stehende Frau mit einem Gasthof will ich mit so etwas nichts zu tun haben", sagte sie. "Ich vermute", fuhr sie fort, "dass es an den Küsten überall Schmuggler gibt, doch was kümmert mich das. Je weniger ich davon weiß, umso besser für mich, zumal ich keinen Zweifel habe, dass es für die Schmuggler sehr gefährlich wäre, wenn sie bei ihrem ungesetzlichen Handel entdeckt würden. Ich will daran keinen Anteil haben."
"Sehr gut!" pflichtete Nick bei, doch Rosalind wusste, dass damit noch nichts aus der Welt geschafft war. Er hielt ihre Hand fest, als sie wieder in den Apfel beißen wollte. "Aber Ihr wisst doch etwas, Rosalind. Habt keine Angst, es mir zu sagen. Schmuggel ist nicht nur ungesetzlich. Es geht um die Sicherheit der neuen Festung! Seine Majestät kann es nicht dulden, dass in ihrer Umgebung mit dem französischen Feind heimlich Handel getrieben
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