Historical Exklusiv Band 06
ahnen, dass Nicholas Spencer ebenfalls hinter der Frau her war! Zumindest schien Spencer ihn aber nicht erkannt zu haben.
Roger Shanks war überzeugt, dass Rosalind es seinem Dienstherrn angetan hatte. In der vorigen Woche hatte er sie nach Sandwich begleitet, und er war an jenem Abend, als sie ihren Besuch bei Spencer beobachteten, sehr erregt gewesen. Auch die Mitteilung, dass Rosalind mit Wat Milford eine Komödie aufgeführt hatte, um Spencer eifersüchtig zu machen, war bei ihm nicht besonders gut angekommen. Jetzt schien Spencer übrigens seinerseits eifersüchtig zu sein, denn er zog die junge Wirtin zu einem wartenden Boot. Was hatte sich das Weibsbild nur dabei gedacht, einen heißblütigen Mann wie ihn eifersüchtig zu machen!
Sein Herr würde sicher zufrieden sein mit seinen Kundschafterdiensten, wenn er auch zunächst Gift und Galle spucken würde, dass Rosalind mit einem Mann durchgegangen war, den er auf den Tod nicht leiden konnte, einem Mann, der ihn öffentlich gedemütigt und ihm in seinem eigenen Bereich die Macht aus der Hand genommen hatte.
Roger schaute angestrengt in die schnell zunehmende Dunkelheit. Ein Mann am Ufer hielt die Reittiere der beiden Liebesleute. Die Mannschaft des Bootes, die Roger nicht erkennen konnte, schien auf einen günstigen Wind zu warten, um in See stechen zu können.
Zum Teufel, er musste es wagen, näher heranzuschleichen, damit er Putnam sagen konnte, in welche Richtung die Fahrt gegangen war.
Vorsichtig kroch Shanks einen anderen Pfad hinunter und hielt sich dabei in gebührender Entfernung von dem Mann mit den Pferden. Putnam würde toben, wenn er erfuhr, dass die Dame seines Herzens es mit Spencer trieb. Er würde fluchen und das Tintenfass nach ihm werfen, aber das war es Roger Shanks dennoch wert. Sein Dienstherr zahlte gut, und außerdem würde er der verlängerte Arm von Lord Cromwell in ganz Kent sein, sobald die Schmuggler hinter Schloss und Riegel waren.
In völliger Finsternis stieß das Schiff vom Ufer ab. Die Besatzung schien ihr Handwerk zu verstehen. Einige von ihnen sprachen in der Mundart von Kent, aber keiner kam Rosalind bekannt vor. Steif saß sie neben Nick und würdigte ihn keines Blickes.
"Wohin bringt mich eigentlich diese Seeräuberbande?" fragte sie schließlich doch, als sie ihre Neugier nicht mehr zügeln konnte. Sie wollte sich nicht mit ihm unterhalten, aber sie musste wissen, wohin die Reise ging.
"In eine kleine Küstenstadt mit Namen Boulogne-sur-Mer, für einen Tag oder auch zwei."
Rosalind erbleichte. Boulogne! Dort konnte sie erkannt werden! Oder schlimmer noch, ihre Verbindungsleute würden sie ansprechen! Pierre Lyon würde bestürzt sein, sie dort zu sehen, ohne dass sie ihm ihren Besuch angekündigt hatte. Hatte jemand Nick den Hinweis gegeben, dass die Schmuggler Boulogne als Umschlaghafen benutzten, oder war er von selbst darauf gekommen? Er würde nicht aufhören, in sie zu dringen, nun da sie ihm völlig ausgeliefert war.
Aber das Schlimmste war, dass sie nach wie vor in seinen Armen dahinschmelzen würde, auch wenn sie sich einredete, dass er sie gegen ihren Willen umfing. In Wirklichkeit hatte er das nie getan. Immer war sie ihm voller Leidenschaft entgegengekommen, so als dränge sie eine unbekannte Macht, der sie sich nicht widersetzen konnte.
"Rosalind, Ihr zittert. Ist Euch kalt?"
Sie durfte Nick ihre Furcht nicht merken lassen. Ohne ihn anzublicken, erwiderte sie: "Ich vermute, ich habe mich erkältet."
Nick umhüllte sie mit seinem Umhang.
"Oh, ich danke Euch für so viel Freundlichkeit gegenüber einer Gefangenen."
"Ihr seid mein Gast, auch wenn Ihr eine andere Ansicht vertretet." Rosalind stieß ein kurzes Lachen aus und schüttelte den Kopf. Wie dieser Mann sie doch in Rage brachte!
"Ich will nicht mit Euch streiten, Mylord, und finde mich damit ab, dass ich Eurer Gnade und Barmherzigkeit ausgeliefert bin."
"Was zwischen uns ist, hat mit Gnade nichts zu tun. Ich empfehle Euch, Euern Kopf an meine Schulter zu legen und zu versuchen, etwas zu schlafen. Es wird lange dauern, bis wir in Boulogne eintreffen, wenn Ihr vielleicht auch daran gewöhnt seid, mit wenig Schlaf auszukommen."
Rosalind spürte die Herausforderung in seinen Worten. Lieber würde ich bis in alle Ewigkeit wach bleiben, schwor sie sich, als meinen Kopf an seine Schulter zu lehnen!
Obwohl sie hatte wach bleiben wollen, schlummerte sie im Sitzen ein.
Als Rosalind erwachte, hatten sie die französische Küste erreicht.
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