Historical Exklusiv Band 06
Dunkelheit des winzigen Raumes, in den sie kaum einen Blick hatte werfen können, bevor die Tür wieder zugeschlagen wurde. Das Leben, das sie bisher geführt hatte, war vorüber, darüber gab es keinen Zweifel mehr – und das Leben, das sie sich wünschte, war für immer verloren. Jetzt blieb ihr nur noch, den Mut zu finden, ihre Freunde zu retten, koste es, was es wolle. Verwünschter Mann – nun musste sie jede Hoffnung auf ihn fahren lassen. Mit diesen Gedanken rollte sie sich auf dem Strohsack zusammen und begann sofort zu zittern wie Espenlaub – es waren wohl mehr die überreizten Sinne als die Kälte –, so dass sie alle verfügbaren Decken über sich zog.
Von nebenan hörte sie Geräusche, doch ihre Gedanken waren eindringlicher als alles, was von außen kam. Dieses ganze Unheil – und dennoch liebte sie Nick! Wie war das möglich? Es war so ungerecht! Nun war sie sich selbst der schlimmste Feind geworden. Das war grausamer als der Verlust Murrays und ihres Vaters. Sie verstand jetzt Nicks Verlangen nach Ehrlichkeit, nach Treue und seine quälende Pein bei dem Gedanken, sie habe ihn belogen und ausgenutzt. O ja, sie verstand es nur zu gut, denn er hatte doch dasselbe mit ihr gemacht! Wie konnten sie beide nur so verschieden sein und dennoch so verwandt in ihrem Wesen? Wenn es doch einen Weg aus diesem Irrgarten gäbe! Wenn sie doch jemanden hätte, dem sie vertrauen könnte, wirklich vertrauen. Damals in Boulogne hatte Nick mehr als einmal gesagt, sie solle ihm doch trauen. Ach, ihr Leben, ihre Zukunft, ihre Liebe – alles war hoffnungslos, selbst in diesen Tagen der Freude und Hoffnungen mit dem Heiligen Christfest und dem Beginn des neuen Jahres.
Rosalind fürchtete sich davor einzuschlafen, denn sie fürchtete ihre Träume – nicht die Albträume von Gefängnis, Not und Tod, sondern glückliche Träume von den Augenblicken in Nicks Armen, Träume, die jetzt so wüst und leer waren wie die kalte Kammer, in der sie lag.
Am nächsten Morgen schickte Nick Stephen Delancey zu Rosalind mit Brot und heißem, gewürztem Wein und auch mit Kleidern, die Meg für sie zusammengepackt hatte. Stephen berichtete, er habe die Gefangene besänftigt und vom Schlaf zerzaust vorgefunden. Selbst diese harmlose Beschreibung brachte Nick fast an den Rand der Verzweiflung, doch er brauchte jetzt Ruhe und Zeit für seine Pläne und durfte sich von nichts ablenken lassen.
Kurz nach Sonnenaufgang war er zum Gasthof "Rose und Anker" geritten, um mit Meg zu reden. Sie war völlig außer sich. Mit Franklins Hilfe beruhigte er sie, so gut es eben ging. Er hieß sie, mit der Muhme im Haus zu bleiben, und versprach, Franklin später wieder zu ihr zu schicken. Als Nick in die Festung zurückkehrte, fand er ein Schreiben vom Pfarrer vor, das ein Kind aus Deal in der Zwischenzeit abgegeben hatte. Es war das Geständnis, am Schmuggel beteiligt zu sein, und es waren alle männlichen Einwohner aus Deal darin aufgeführt, die jeder ein Kreuz hinter den vorgeschriebenen Namen gemacht hatten. Pfarrer Phillips hatte alles beglaubigt.
Nick schüttelte nur den Kopf. Wie hatten diese Leute das bloß zu Wege gebracht? All diese vielen Namen in wenigen Stunden, während die meisten Türen versperrt und bewacht waren! "Mehr als sechzig! Zum Teufel, das ist die gesamte männliche Einwohnerschaft! Da hat der Pfarrer wohl ein bisschen nachgeholfen", murmelte Nick, während er "das Geständnis" in seine Mappe legte. "Wieder ist jeder bereit, ihr beizustehen."
Ja, er empfand selbst den Wunsch, ihr zu Hilfe zu kommen. Diese Treue, diese Freundschaft verdienten Achtung. Wenn man ihm diese Gefühle doch auch entgegenbringen würde! Rosalind hatte sie sich zweifellos verdient. Ihr bescheidenes Leben hier in dem kleinen Ort Deal war himmelweit entfernt von seinem üppigen an dem prachtvollen Hof des Königs unter seinen so genannten Freunden … Nick war nahe daran zu glauben, dass sie dennoch den besseren Teil erhalten hatte.
Am Mittag musste wieder Delancey mit dem Mahl in Rosalinds Kämmerchen gehen, denn Nick wusste, dass ein Blick in ihre Augen, ein Anzeichen von Temperament oder von Zärtlichkeit genügen würden, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, und das wiederum könnte den Plan gefährden, den er in dieser Nacht geschmiedet hatte.
Sein Vorhaben war ziemlich tollkühn, aber er sah keine andere Möglichkeit. Seine Gefühle für Rosalind ließen ihm keine Wahl. Wenn sie sich nicht auf seine Seite stellte, konnte er seine
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