Historical Exklusiv Band 06
Augen wirkte so Furcht erregend, dass Sarah sich taumelnd erhob.
Unter dem nassen Leinenhemd zeichnete sich jeder seiner Muskeln deutlich ab. Er sah so wild und ungezähmt aus wie die See, gegen die er gerade gekämpft hatte. In diesem Augenblick verstand Sarah, warum die Chinesen die männliche Kraft als den weißen Tiger bezeichneten.
Und die weibliche als den grünen Drachen, erinnerte sie sich.
"Ich wusste es", meinte er leise und drohend. "Als Burke mir sagte, dass eine Engländerin, gekleidet wie eine Chinesin, sich als blinder Passagier an Bord der Phoenix geschlichen hatte, da wusste ich, dass nur Sie das sein können."
Da er auf diese Bemerkung keine Antwort zu erwarten schien, zog Sarah es vor, zunächst einmal zu schweigen.
"Sind Sie eigentlich verrückt?" fragte er dann und betrat langsam die Kabine.
Sarah war kein Feigling, dennoch wich sie einen Schritt zurück und dann noch einen zweiten, bis der Tisch hinter ihr jeden weiteren Rückzug unmöglich machte.
"Nicht verrückt", gab sie mit weniger Festigkeit zurück, als es ihr lieb war. "Nur sehr entschlossen."
"Zu was?" Trotz der Entfernung zwischen ihnen spürte sie seinen Ärger. "Zu beweisen, dass Sie so wahnsinnig sind wie Ihr Vater? Oder sind Sie entschlossen, Ihren Ruf vollkommen zu zerstören?"
Der Gedanke, dass der berüchtigte Lord Straithe sich wegen ihres Rufs sorgen könnte, erschien Sarah so seltsam, dass sie nicht gleich antwortete.
Straithe interpretierte ihr Schweigen auf seine Art. Seine Miene verhärtete sich, und er ließ seinen Blick auf sehr verletzende Art und Weise über ihr Gesicht bis zu ihren Schultern gleiten. Erst da bemerkte Sarah, dass die seidene Decke über ihre Arme nach unten geglitten war. Ihr nasses Kamisol klebte genauso alles enthüllend an ihrem Körper wie Straithes Hemd an seinem. Errötend zog sie die Decke hoch.
Der Kapitän trat einen Schritt näher. Er verzog das Gesicht zu einem, wie ihr schien, verächtlichen Lächeln. "Ich muss mich entschuldigen, Miss Abernathy. Hätte ich geahnt, dass Sie so entschlossen sind, in mein Bett zu gelangen, dann hätte ich Ihnen kürzlich nicht so bereitwillig gestattet, das ,Haus der tanzenden Blüten' zu verlassen, wie ich es getan habe."
Seine Nähe beunruhigte Sarah. Sie hatte vergessen, wie übermächtig dieser Mann in geschlossenen Räumen wirkte. Sie musste ihren ganzen Mut zusammennehmen, um ihrer Stimme den heiteren, gelassenen Tonfall zu verleihen, als spräche sie mit einem ihrer Brüder.
"Machen Sie sich nicht lächerlich. Natürlich will ich nicht in Ihr Bett. Ich will nur meinen Vater finden."
"Ich sagte Ihnen, dass ich mich sehr bemühen werde, Ihren Vater zu finden."
Sie reckte das Kinn. "Und ich glaube Ihnen nicht, dass Sie sich an Ihr Versprechen halten werden."
James starrte sie an, und sein Zorn kämpfte mit den Resten seines Stolzes. Man hatte ihm schon viele Fehler vorgeworfen, zu denen er sich meistens bereitwillig bekannte. Doch trotz seiner freimütigen Art lebte er doch nach dem Kodex, der ihm so angeboren war wie das schwarze Haar und der eigensinnige Charakter.
Er würde niemals jemanden töten, außer in einem Kampf oder bei einem fairen Schusswechsel. Er würde niemals eine Frau gegen ihren Willen nehmen, niemals Opium oder Sklaven transportieren, wie es die Ostindienschiffe taten. Und nie, wirklich niemals hatte irgendjemand ihm vorwerfen können, sein einmal gegebenes Versprechen nicht gehalten zu haben.
Dass diese so derangierte Missionarstochter eben dies zu tun wagte, verwandelte seinen Ärger über ihre Dreistigkeit in wahrhaftigen Zorn. Er presste die Lippen aufeinander und trat noch einen Schritt näher.
"Sie könnten Ihren Mangel an Vertrauen noch bereuen, Miss Abernathy. Sie schlichen sich auf ein Schiff, dessen Besatzung aus Ausgestoßenen und Schurken besteht. Bis ich Sie auf ein anderes Schiff bringen kann, das zurückfährt nach Macao, werden Sie diese Kabine nicht verlassen. Wenn Sie auch nur Ihre Nasenspitze zur Tür hinausstrecken, dann werde ich Sie so behandeln wie jeden anderen Mann an Bord, der meine Befehle missachtet."
"Aber …", begann sie.
Er packte ihr Kinn sehr fest und zwang sie, ihn anzusehen. "Was ich jetzt sage, dürfen Sie mir wirklich glauben: Wenn Sie mir nicht gehorchen, werde ich Sie nackt ausziehen, Sie an den Mast fesseln und auspeitschen."
Sie erbleichte. "Das … das würden Sie nicht wagen!"
"Doch, Miss Abernathy", erwiderte er, "das würde ich. Mit dem allergrößten Vergnügen
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