Historical Exklusiv Band 06
eine Kakerlake war er, und es heißt, dass sein Hirn …" Er hielt inne und erschrak. "Oh, was rede ich denn da – verzeihen Sie, Mylady."
Ohne auf seine Entschuldigung einzugehen, wandte Sarah sich furchtsam an James. "Hatte er keinen Partner, oder irgendwelche Angestellten? Jemand, der sich in seinen Geschäftsangelegenheiten auskennt?"
"Sein Partner starb vor einigen Jahren, und von den Angestellten weiß ich keinen einzigen Namen. Ich muss Kontakt zu der Bank aufnehmen, über die seine Geschäfte liefen, und herausfinden, wer sich nun um meine Angelegenheiten kümmert."
Huddington räusperte sich. "Nun, vielleicht könnte ich Ihnen da behilflich sein."
Sarah bemühte sich, ihre Ungeduld zu verbergen, als James den jungen Mann abschätzend ansah. Er war dünn, knochig und steckte voller nervöser Energie, dabei war er kaum älter als Abigail. Sarah fragte sich, wann er seine Studien wohl beendet haben mochte. Vermutlich war es noch nicht lange her. Auch hatte er noch nicht viele Klienten gehabt, seit er sein Schild aufgehängt hatte, nach dem fadenscheinigen schwarzen Mantel und der abgenutzten Perücke zu urteilen, die er bei ihrer unerwarteten Ankunft angelegt hatte. Was immer James im Gesicht des jungen Mannes sehen mochte, es beruhigte ihn weit mehr als Sarah.
"In Ordnung", meinte er jedenfalls. "Setzen wir ein Dokument auf, das Sie berechtigt, in meinem Auftrag Nachforschungen für mich anzustellen."
"Jawohl, Sir!"
Der junge Rechtsanwalt wäre vor Eifer um ein Haar über den Saum seiner Robe gestolpert, als er zu einem verstaubten Tisch eilte, auf dem sich Bücher türmten, zusammen mit den Resten seines Mittagessens. Mit einer einzigen Armbewegung schob er einen Zinnkrug mit Bier zur Seite und ein Brot, auf dem blutrotes Fleisch lag, um einen Gänsekiel zu suchen. Während er die Einzelheiten aufschrieb, die James ihm diktierte, durchmaß Sarah mit langen Schritten ungeduldig das kleine Zimmer.
Huddington sah aufmerksam zu, wie James das Dokument schwungvoll unterzeichnete, dann datierte er es sorgfältig und setzte seine eigene Unterschrift darunter. "Ich werde sofort mit den Nachforschungen beginnen."
"Sie können uns im ,Royal Arms' erreichen, falls es dort freie Zimmer gibt. Wenn nicht, schicke ich Ihnen Nachricht über unseren Aufenthaltsort."
"Sehr gut, Sir."
Sarah wartete, bis sie wieder in der Kutsche saßen, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. "So viele widrige Umstände. Müssen wir wirklich ausharren, bis Huddington seine Nachforschungen abgeschlossen hat?"
"Nein, Liebste, das müssen wir selbstverständlich nicht. Aber ehe wir etwas unternehmen können, müssen wir Zimmer anmieten und dir etwas Warmes zum Anziehen kaufen."
"Wird unser Geld dafür denn reichen?"
"Es wird dafür reichen."
"Aber danach werden wir nach Barrowgate aufbrechen?" fragte sie und sah ihn ängstlich an.
"Danach werden wir nach Barrowgate aufbrechen", versprach er ihr.
James lehnte sich in der staubigen Kutsche zurück und betrachtete Sarahs Profil, während sie sich auf die Unterlippe biss und aus dem Fenster starrte, ohne etwas zu sehen. Er wusste, sie war in Gedanken bei Abigail, Charlie und den älteren Jungen, Harry und Giles. Wenn sie könnte, würde sie dem Kutscher befehlen, an dem Hotel vorbeizufahren und gleich die Straße nach Barrowgate zu nehmen.
In den vergangenen acht Monaten hatte James allmählich begonnen, die schwere Last zu würdigen, die seine Frau schon so lange getragen hatte. In einem Alter, in dem sie hätte lachen sollen, kokettieren und zu Tanzvergnügungen gehen, bei denen sie passende junge Männer kennen lernen konnte, hatte sie eine Schwester und drei Brüder aufgezogen und außerdem noch den Haushalt ihres Vaters geordnet. Wo andere Mädchen sich im täglichen Leben auf die Unterstützung durch Freunde und eine vertraute Umgebung verlassen konnten, hatte sie für die Abernathys ein Heim geschaffen, erst in Indien und dann in China. Jetzt würde er ihr ein Heim schaffen. Für sie, und mit ihr zusammen.
Die lange, langsame Reise auf dem schwerfälligen Handelsschiff hätte ihn zur Verzweiflung bringen können. Stattdessen hatte er diese Wochen der Muße genutzt, um die Frau kennen zu lernen, mit der er nun verheiratet war. Das Lachen, das nie ganz aus ihren Augen zu verschwinden schien, begleitete ihn Tag und Nacht. Ihre Überraschung, jedes Mal, wenn er ihr neues sinnliches Entzücken zeigte, hatte sich in sein Herz gebrannt. Ihr unerschütterliches Verantwortungsgefühl
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