Historical Exklusiv Band 06
langen Beine aus und sah sie von der Seite her an. "Liam ist ein guter Mann."
"Das weiß ich! Ich habe ihn lieb gewonnen, während wir an Bord der Phoenix waren, aber …"
"Aber was?"
"Aber er ist ein Seemann", antwortete sie seufzend. "Er wird mehr Zeit auf dem Meer verbringen als zu Hause. Wie kann er Abigail Sicherheit und Trost bieten, wenn er immer auf See ist?"
In ihrer Aufregung bemerkte Sarah nicht, dass in James' Gesicht ein Muskel zuckte.
"Liams erste Frau ist gestorben", erklärte er mit ruhiger Stimme. "Er wird tun, was er nur kann, um diese Ehefrau vor allem Unbill zu schützen."
Erschrocken drehte Sarah sich zu ihm um. "Er hat seine Frau verloren? Das wusste ich nicht. Wie kam es dazu?"
"Ich habe schon mehr gesagt, als ich eigentlich sollte. Du musst dir die Geschichte von Liam selbst erzählen lassen, falls er dazu bereit ist."
"James, Abigail ist meine Schwester! Und jetzt auch deine Schwester. Dir sind doch gewiss ihr Glück und ihre Sicherheit wichtiger als das deines Freundes."
"Liam ist ihr Ehemann", meinte er. "Er ist für Abigails Glück verantwortlich."
Sarah lehnte sich zurück, runzelte die Stirn und dachte über die sanfte Zurechtweisung nach.
Natürlich war Liam für Abigails Glück verantwortlich, aber sie, Sarah, hatte diese kostbare Last so lange getragen, dass es ihr jetzt schwer fiel, sie abzugeben. Während der ganzen Überfahrt nach Hause hatte sie sich um ihre Familie gesorgt. Obwohl sie wusste, wie sehr James das Meer liebte, war sie einverstanden gewesen mit seinem Plan, die Phoenix zu verkaufen und das Geld zu nutzen, um Kerrick's Keep in ein Zuhause für sie und den Rest der Abernathys zu verwandeln. Jetzt hatte Abigail, wie es schien, selbst ein Zuhause gefunden, für sich und für die Jungen.
Zum ersten Mal in ihrem Leben musste Sarah sich nur um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern – und um die ihres Ehemannes. Der Gedanke ernüchterte sie, und er ließ die Zukunft auf einmal unsicher scheinen. Konnte sie James bitten, sein Leben für sie zu ändern? Für sie allein?
Und wenn sie ihn wirklich liebte, würde sie das dann überhaupt wollen?
Sarah biss sich auf die Lippen. Sie konnte jetzt nicht über sich und James nachdenken. Sie sollte dem Herrn danken für die glückliche Heimkehr ihrer Geschwister. Sie sollte froh sein, dass Liam ihnen seinen Schutz angeboten hatte. Dass Abigail jemanden von seiner Kraft gefunden hatte, an den sie sich in Stunden der Not wenden konnte.
Sie lehnte sich zurück und dachte über Liams unverkennbare Qualitäten nach. Plötzlich erinnerte Sarah sich an eine Unterhaltung. Als sie das letzte Mal mit Abigail gesprochen hatte, kurz bevor sie und James auf See verloren gegangen waren, hatte Abigail den Gedanken, sie könnte an den intimen Freuden einer Ehe Gefallen finden, weit von sich gewiesen. Und doch hatte sie zugegeben, dass jemand sie geküsst hatte. Jemand, dessen Umarmung sie weder erschreckt noch abgestoßen hatte.
Sarah kam der Gedanke, dass Abigail Liam Burke genauso sehr aus Zuneigung wie aus der Notwendigkeit heraus geheiratet haben könnte, und dieser Gedanke verließ sie während des ganzen Nachmittags nicht mehr, bis in die Nacht hinein, als sie neben James in einem der oberen Schlafzimmer im "Royal Arms" lag. Derselbe Gedanke ließ sie mit fest gefalteten Händen in dem Paketboot sitzen, das sie kurz vor Mittag am nächsten Tag nach Ryde bringen sollte. Er schnürte ihr beinahe die Kehle zu, als James ihr am Tor eines strohgedeckten Cottages aus der Kutsche half und sie ihre Schwester in einem ummauerten Garten sitzen sah, wo die drei Jungen erkennbar unlustig für sie posierten, damit sie sie malen konnte.
"Abigail! Charlie!" Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie das Tor aufriss. "Harry, o Harry! Und bist das wirklich du, Giles? Ihr … ihr seid so schrecklich groß geworden!"
James blieb zurück und beobachtete, wie die Familie seiner Gemahlin sprachlos auf die Frau starrte, die da auf sie zulief. Charlie fasste sich als Erster. Mit einem Freudenschrei rannte er zu Sarah hin und warf sich in ihre ausgestreckten Arme. Die älteren Jungen folgten wenig später, und Abigail brach natürlich in Tränen aus.
Sarah versuchte, sich aus den Armen der aufgeregten, wild durcheinander redenden Jungen zu befreien und zu ihrer Schwester zu gehen. Ehe ihr das gelang, kam Liam Burke um die Ecke. Er erfasste die Szene mit einem Blick.
"Miss Sarah!"
Über den Garten hinweg begegnete er James' Blick, und in sein Gesicht
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