Historical Exklusiv Band 36
in diesem Haus sein würde. Sie wohnte hier nicht mehr. Den Geräuschen nach zu urteilen, war man bereits dabei zu packen und Vorbereitungen für das Verlassen des Stadthauses zu treffen. Angst stieg in ihr hoch.
„Ich glaube, es wäre für uns beide von großem Nutzen, diese Unterhaltung jetzt zu führen.“ Die Stimme hinter der Tür war ausdruckslos, nicht moduliert.
Catherine konnte nicht die geringste Überzeugungskraft darin entdecken. Wie brachte er es nur fertig, in einem solchen Moment so … so emotionslos zu sprechen? Besaß der Mann denn überhaupt kein Einfühlungsvermögen?
„Für wen von Nutzen? Sie versuchen, mich zu kaufen. Gehen Sie endlich!“ Sie drehte sich um und sah wieder auf die Straße hinunter.
Einen Augenblick später hörte sie das krachende Geräusch, mit dem die Tür aufflog.
Erschrocken wirbelte Catherine herum und unterdrückte einen Schrei. Im Türrahmen stand der Earl. Während sie ihn ängstlich beobachtete, eine Hand vor den Mund gepresst, strich er ruhig seinen taubengrauen Rock glatt und zupfte seine blütenweißen Manschetten zurecht.
Catherine stand wie angewurzelt da, ihr fehlten die Worte, was nicht oft vorkam. Ihr Mund war trocken, und ihr Herz klopfte bis zum Hals. Caldbeck stieß die Tür zu und schob – nach einem flüchtigen Blick auf das zerbrochene Schloss – einen der zierlichen Stühle davor, um den Eingang zu versperren. Dann wandte er sich ihr zu und verbeugte sich höflich.
„Miss Maury.“
Catherine blieb nichts anderes übrig, als mit einem Nicken seinen Gruß zu erwidern, während er das Zimmer durchquerte und ein paar Schritte vor ihr stehen blieb. Sie sah zu einem ausdruckslosen Gesicht auf, das von eisgrauen Augen beherrscht wurde. Nicht die Spur eines Lächelns spielte um seine Mundwinkel. Das streng aus dem Gesicht gekämmte, früher rabenschwarze Haar, war jetzt von so vielen grauen Strähnen durchzogen, dass es metallisch schimmerte. Catherine schluckte und suchte vergeblich nach einer passenden Erwiderung.
Auf dem Flur mischten sich die Geräusche von herbeieilenden Schritten mit aufgeregtem Stimmengewirr.
„Miss Catherine, ist alles in Ordnung?“
„Was, zum Teufel, geht hier vor?“ Ihr Onkel drängte sich an dem Diener vorbei, stemmte sich gegen die Tür, wobei der Stuhl auf der Innenseite umkippte, und steckte den Kopf durch den Türspalt. „Oh. Caldbeck. Wie ich sehe, haben Sie meine Nichte gefunden. Haben Sie diesen Lärm gemacht?“
Caldbeck deutete wortlos zur Tür. Maury inspizierte das zerbrochene Holz und schaute mürrisch drein. „Ich habe Ihnen doch gesagt, wie unvernünftig sie ist, aber gab es keine andere Möglichkeit, als meine Tür zu demolieren?“
Fest sah Caldbeck ihn an. „Gehört diese Tür jetzt nicht mir?“
Maury wurde rot. „Ja, gewiss.“ Wieder gefasst fügte er kurz darauf spöttisch hinzu: „Wir möchten natürlich nicht stören, wenn Sie Ihrer Braut Ihre Aufwartung machen wollen.“ Dabei ließ er den Blick über die im Zimmer verstreuten Kleider schweifen. „Ich muss schon sagen, Sie haben wirklich keine Zeit verloren.“
Er nickte dem Diener zu, und beide gingen hinaus, wobei der Diener hinter vorgehaltener Hand grinste. Caldbeck stellte den kleinen Stuhl wieder vor die Tür und wandte sich erneut Catherine zu.
Sie spürte, wie ihr plötzlich die Röte ins Gesicht schoss. Gütiger Himmel! Sie stand halb nackt vor Seiner Lordschaft!
Wie hatte sie das nur vergessen können. Wie viel konnte Lord Caldbeck eigentlich sehen, wenn das Licht vom Fenster durch das dünne Leinen schien? Und was musste er von ihr denken? Catherine versuchte, ihre Blöße zu bedecken, merkte schnell, dass es zwecklos war, und wollte Caldbeck gerade den Rücken zukehren, als seine Stimme sie erstarren ließ.
„Es macht nichts. Die Meinung Ihres Onkels ist nicht mehr von Bedeutung.“
Sie errötete noch tiefer. Catherine verfluchte insgeheim ihren schneeweißen Teint. Es kam ihr so vor, als müsste ihr Gesicht mittlerweile feuerrot sein! Und sie hatte nicht die mindeste Ahnung, was in seinem Kopf vorging. Obwohl er die Tür aufgestoßen hatte, waren weder in seinem Gesicht noch in seiner Stimme irgendwelche Anzeichen von Zorn zu erkennen.
Der höflich distanzierte Blick aus kalten grauen Augen war unverändert. Wieder packte Catherine die Angst, und sie hätte am liebsten auf der Stelle kehrtgemacht und ihr Heil in der Flucht gesucht, aber ihr Stolz ließ es nicht zu.
Stattdessen nahm sie all ihren Mut zusammen.
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