Historical Exklusiv Band 36
einen Augenblick wortlos an, griff nach ihrem Hut, kehrte Maury mit einer eleganten Drehung den Rücken zu und ging aus dem Zimmer.
Als sie jedoch außer Sichtweite ihres Onkels war, gab sie den Versuch auf, würdevoll zu erscheinen, und flüchtete die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Sie schlug die Tür hinter sich zu, schloss ab, warf ihren Hut aufs Bett und fing wieder an, hin und her zu gehen, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
Gütiger Gott, das darf doch alles nicht wahr sein! Sie konnte einfach nicht fassen, was ihr Onkel ihr gerade eröffnet hatte. Kein Zuhause? Dieses Haus war während der Hälfte ihres Lebens ihr Zufluchtsort gewesen – vielleicht kein besonders behaglicher, aber immerhin ein Heim.
Kein Geld? Sie hatte schon den nächsten Zahlungstag herbeigesehnt, denn ihre Mittel für dieses Quartal waren bereits so gut wie erschöpft. Die Ausgaben für die Kleidung der Jungen in dem gerade gegründeten Waisenhaus waren nicht gerade gering gewesen, die neuen Betten für die Findelkinder und der Empfang für die Spender hatten auch nicht wenig gekostet.
Nicht zu vergessen ihr neues Jagdpferd.
Ihre Stimmung hellte sich etwas auf. Ihre Pferde! Allein das Jagdpferd würde genug einbringen, um davon die Jahresmiete für ein Haus zu bezahlen. Sie könnte die Tiere verkaufen, aber … Wenn Onkel Ambrose sie nun bereits verkauft hatte? Oder, was viel wahrscheinlicher war, sie verspielt hatte? Sie zweifelte nicht daran, dass viele seiner Investitionen am Spieltisch stattfanden.
Bei diesem Gedanken stieg erneut Wut in ihr hoch, und der Tritt, den sie einem Stuhl versetzte, brachte sie fast aus dem Gleichgewicht. Sie hatte genug! Mehr als genug!
Catherine zerrte an ihrer Jacke und riss beinahe die Knöpfe ab, während sie sich ihrer hastig entledigte. Daraufhin schleuderte sie sie in hohem Bogen in Richtung Kleiderschrank. Die Stiefeletten flogen hinterher. Dann kämpfte sie mit den Häkchen des Kleides. Es landete auf dem Bett.
Endlich davon befreit ging sie wieder hin und her, um ihrer Enttäuschung Luft zu machen. Gefräßig! Ein Sofakissen prallte gegen die Wand. Habgierig! Die kleine Fußbank fiel klappernd neben dem Fenster zur Seite. Dummkopf! Ein Buch purzelte vom Tisch, den sie mit der Faust traktiert hatte. Während sie sich den schmerzenden Knöchel rieb, hielt sie nach anderen Dingen Ausschau, an denen sie ihre Wut auslassen konnte.
Ihr Blick fiel auf die leicht geöffnete Tür des Ankleidezimmers, hinter der sie den Kopf ihrer Zofe Sally mehr erahnen als sehen konnte. Der Anblick ihrer Herrin, die nur mit der Leibwäsche bekleidet, tobend im Schlafzimmer herumlief, schien das Mädchen offensichtlich zu erschrecken, denn Sally zog schnell den Kopf zurück und schloss die Tür.
Catherine hielt inne. Was würde aus Sally werden? Die Frage wirkte ernüchternd. Mit einem Mal wurde Catherine klar, dass sie nicht das einzige Opfer der Katastrophe war. Alle Dienstboten würden darunter leiden. Wie konnte sie das verhindern? Kein Zuhause, kein Vermögen, kein Einkommen. Kein Geld, um das treue Mädchen zu entlohnen, kein Ort, an dem sie wohnen konnten.
Allmählich verrauchte ihr Zorn und machte der Angst Platz. Erschöpft rückte Catherine die Fußbank ans Fenster und setzte sich. Starr blickte sie durch die Scheiben.
Was soll ich tun? dachte sie. Mittellos zu sein ist natürlich das größte Problem. Selbst wenn es mir gelingt, meine Pferde aus den Klauen meines Onkels zu retten, wird das Geld nicht lange genug reichen, um so unabhängig zu sein, wie ich es mir so sehnlich gewünscht habe.
Ganz gleich, wie sie sich entschied, zumindest würde sie nicht mehr den Anblick ihres korrupten Onkels und seiner weinerlichen Frau ertragen müssen. Welch eine Erleichterung! Die beiden hatten sie nie in ihrem Heim haben wollen. Die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen war der einzige Grund gewesen, der ihren Onkel bewogen hatte, die Vormundschaft für ein zwölfjähriges Mädchen zu übernehmen.
Zumindest war ihr Vater klug genug gewesen, in seinem Testament das eine zur Bedingung für das andere zu machen. Doch anscheinend hatte selbst er sich nicht vorstellen können, wie tief sein Bruder sinken würde.
Catherine seufzte und stützte sich auf die Fensterbank. Sie hatte Freunde, die sie aufnehmen würden, aber nachdem sie in diesem Haushalt nur geduldet worden war, hatte sie wenig Lust, diese Erfahrung anderswo zu wiederholen. Könnte sie nicht eine bezahlte Arbeit finden? Gerade das war
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