Historical Exklusiv Band 36
gewohnt, dass man ihre wohltätigen Unternehmungen mit Unverständnis, Ärger oder Hohn kommentierte. Überrascht stammelte sie: „Sie … Sie meinen das im Ernst?“
„Es ist mein voller Ernst, und ich bin bereit, Sie zu unterstützen. Meine Besitzungen liegen in Yorkshire. Auch in den Städten dort arbeiten viele Kinder unter den schrecklichsten Bedingungen – in den Bergwerken, Spinnereien und Gießereien. Es fehlt also wahrhaftig nicht an Betätigungsfeldern für Ihre Talente und mein Geld.“
Catherine hatte ihre Wut schon fast vergessen. „Ja, ich habe viele schreckliche Geschichten über die Kinder in den Bergwerken und Fabriken gehört. Aber was soll aus meiner Arbeit hier werden? Gerade erst ist es mir gelungen, ein Unterstützungskomitee für das Kinderkrankenhaus zu gründen, und ich hoffe, etwas Ähnliches für das Waisenhaus zu erwirken.“
„Gegen eine gelegentliche Fahrt nach London hätte ich nichts einzuwenden, obwohl ich es vorziehe, auf meinen Besitzungen zu leben, damit ich selbst die Oberaufsicht führen kann. Man darf sich nur bis zu einem gewissen Grad auf andere verlassen.“
„Ja, da haben Sie völlig recht. Das ist einer der Gründe, warum ich in London bleiben möchte.“ Und unverheiratet.
„Dafür habe ich Verständnis, ich bin allerdings der Ansicht, dass Sie einen Großteil der Vorbereitungen für Ihre Londoner Aufgaben brieflich erledigen könnten, wenn Sie sich Ihre Besuche sehr genau einteilen würden. Im Laufe der Zeit werden Sie dann in der Lage sein, Ihre Aufmerksamkeit mehr Yorkshire zuzuwenden.“
Catherine musste Zeit gewinnen und blickte wieder aus dem Fenster, allerdings ohne etwas von dem wahrzunehmen, was draußen vor sich ging. Caldbeck wartete gelassen auf ihre Antwort. Sein Angebot brachte sie tatsächlich in Versuchung. Es stand in seiner Macht, ihre Anliegen auf die vielfältigste Weise zu fördern, wenn er nur wollte. Es wäre eine große Erleichterung, solch einen Verbündeten zu haben. Das Geld war natürlich wichtig, aber …
Unvermittelt wandte sie sich um.
„Würden Sie sich im House of Lords für die Gesetze zur Regelung der Kinderarbeit einsetzen?“
Caldbeck zögerte und schien darüber nachzudenken.
Schließlich nickte er. „Ja, von Zeit zu Zeit, wenn Sie mich mit Informationen versorgen. Ich spreche nur selten im Parlament, aber ab und zu werde ich es tun. Es ist nicht mein Wunsch, meine gesamte Zeit in den Dienst Ihrer Vorhaben zu stellen. Dazu bin ich viel zu beschäftigt, und das ist der Grund, warum ich Sie brauche.“
Konnte sie seinem Versprechen glauben, oder versuchte er nur, sie dazu zu bewegen, seinen Antrag anzunehmen? Wie lange würde es dauern, bis sein Interesse an ihr nachließe und seine eigene Arbeit wieder Vorrang hätte? Das würde sie erst wissen, wenn es zu spät war. Sie verstand immer noch nicht recht, warum er sie zu seiner Frau machen wollte.
Bei ihrem Anblick wurde ihm angeblich warm ums Herz. Konnte denn irgendjemand diesen menschlichen Eisberg erwärmen? Schönheit? Eleganz? Vielleicht wollte er schlicht und einfach eine hochgewachsene, gut angezogene Frau als Zierde an seiner Seite, eine, an der er sich auf seine distanzierte Art erfreuen könnte, während sie die gesellschaftlichen Pflichten als seine Gemahlin übernähme. Das klang nach einem Vorteil. Sie bräuchte keine Angst um etwaige Kinder zu haben. Aber … wäre das wirklich ein Vorteil?
Catherine merkte, dass sie errötete. Sie war eine sehr gefühlsbetonte Frau, und schon bald nach Beginn dieses Gespräches war ihr aufgefallen, dass Caldbecks Gegenwart Empfindungen in ihr weckte, die sie sich lieber nicht eingestehen mochte. Sie musste ihre Entscheidung mit klarem Verstand treffen und durfte sich nicht von den Sehnsüchten, die sie spürte, beeinflussen lassen. Dabei war ihr völlig unverständlich, wie dieser Mann mit dem ausdruckslosen Gesicht sie so in Erregung versetzen konnte. Nur weil er breite Schultern und schmale Hüften hatte …
Ihr nächster Gedanke ließ sie innehalten. Was für ein erbärmliches Leben ist das, einen Mann zu heiraten, der diese Gefühle in mir erweckt, aber keine Neigung zeigt, sie mit mir zusammen auszuleben! Schon seit Jahren wartete sie voller Neugier darauf, die Geheimnisse der Liebe zu ergründen, war jedoch bis auf einige verstohlene Küsse völlig unerfahren.
Catherine war sich nur zu genau darüber im Klaren, welche Gefahren auf eine unverheiratete Frau lauerten, die sich auf diesem Gebiet zu weit vorwagte.
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