Historical Exklusiv Band 36
befriedigt werden würde, ertappte sie sich dabei, wie sie davor zurückschreckte. Heute Nacht würde sie im Bett eines Mannes liegen, der ihr völlig fremd war. Sie wäre ihm ausgeliefert und wusste nicht, was sie von ihm zu erwarten hatte. Catherine hielt sich zwar für eine tapfere Frau, aber diese eiskalt blickenden Augen waren bedrohlich genug, um sogar jemand erzittern zu lassen, der wesentlich mutiger war als sie.
Angst packte sie. Sie sprang vom Frisiertisch auf und lief aufgeregt durch das Zimmer. Nein, sie konnte es nicht tun. Es war unmöglich. Da ließ die Stimme ihrer Zofe Catherine zusammenschrecken.
„Miss Catherine? Bitte beruhigen Sie sich, Sie müssen sich wieder hinsetzen. Ich muss Ihnen doch die Handschuhe anziehen. Sehen Sie? Die Naht am Ringfinger habe ich aufgetrennt, damit Sie das Leder zur Seite schieben können.“
Catherine seufzte, ging zum Frisiertisch zurück, sank auf den Stuhl und streckte niedergeschlagen die Hände aus. Während Sally sich damit abmühte, ihr die engen Handschuhe überzustreifen, holte Catherine mehrmals tief Luft, um sich wieder zu beruhigen. Es würde schon nicht so schlimm werden. Ganz sicher nicht. Er war ein gut aussehender Mann und der Kuss, den er ihr gegeben hatte … Nein! Energisch verdrängte sie den Gedanken. Dennoch stieg ihr erneut die Röte ins Gesicht.
„Ist es Ihnen zu warm, Miss Catherine? Mir kommt es hier eher etwas zu kalt vor.“ Sally fächelte ihr mit dem verzierten Elfenbeinfächer Luft zu.
„Nein, schon gut.“ Catherine schob den Fächer zur Seite. „Mir fehlt nichts.“
Gerade in diesem Augenblick war das knirschende Geräusch von Kutschenrädern unten vor dem Haus zu hören. Sally lief zum Fenster. „Ich glaube, das ist er, Miss Catherine“, berichtete sie aufgeregt. „Oh, sehen Sie sich nur diese Kutsche an! Alles in Silbergrau gehalten und mit den herrlichsten Apfelschimmeln, die man sich vorstellen kann. Einer gleicht aufs Haar dem anderen!“
Die Vorstellung, dabei ertappt zu werden, wie sie einen Blick auf ihren Bräutigam zu erhaschen versuchte, behagte Catherine überhaupt nicht. Deshalb spähte sie nur vorsichtig über Sallys Schulter. An dem Wappenschild mit dem Wolfskopf war unschwer zu erkennen, dass der Wagen dem Earl of Caldbeck gehörte. Nachdem der Earl ausgestiegen war und die Treppe betrat, schlug die Standuhr in der Diele gerade halb vier.
„Gut“, stellte Sally fest, „zumindest ist er pünktlich.“
Natürlich war er pünktlich. Wie sollte es auch anders sein. Catherine trat ein wenig näher ans Fenster und sah nach unten – direkt in Caldbecks nach oben gerichtetes Gesicht. Verflixt! Hastig wich sie zurück. Es war ja zu erwarten gewesen, dass er sie dabei ertappen würde, wie sie ihn heimlich beobachtete. Vielleicht täte es ihm gut, wenn sie ihn eine Weile warten ließe. Man musste von Anfang an klare Verhältnisse schaffen.
Aber selbst dieser harmlose Versuch zu rebellieren ließ sich nicht in die Tat umsetzen. Denn schon war ein Klopfen an der Tür zu hören und die Stimme des Lakaien, der verkündete, dass der Earl of Caldbeck sie unten erwartete. Sally schob der reglos dastehenden Catherine schnell die Kordel des Retiküls übers Handgelenk und bugsierte ihre Herrin sanft zur Tür.
„Sie sollten lieber gehen, Miss Catherine. Man darf den Geistlichen nicht warten lassen. Ach je, einen Augenblick bitte. Ich muss noch schnell diese Locke hochstecken. Jetzt ist alles in Ordnung.“
Dann ließ Catherine sich zur Tür führen – dem Schicksal entgegen, das sie erwartete.
Als sie die stille, schwach beleuchtete Kapelle betraten, waren bis auf zwei Personen keine wartenden Gäste zu sehen. Der eine war ein elegant gekleideter Gentleman, den Caldbeck Catherine als seinen Freund Adam Barbon, Viscount Litton, vorstellte, und bei der modischen dunkelhaarigen Dame – eher apart als schön – handelte es sich um Caldbecks Schwester Helen, Lady Lonsdale.
Die beiden bildeten ein attraktives Paar, er mit blondem Haar und fröhlich blickenden braunen Augen, sie mit schimmernden schwarzen Locken und dunkel bewimperten Augen, die genauso blau waren wie Catherines. Überrascht verhaspelte sich Catherine, als sie der anderen Frau die Hand zur Begrüßung reichte.
Caldbeck hatte also eine Schwester. Wie wenig sie doch von ihm wusste.
Während sie gerade darüber nachsann, ob bei der Trauung nur Gäste ihres Bräutigams anwesend sein würden, rauschte Mary Elizabeth in die Kapelle. Catherine eilte ihr
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