Historical Exklusiv Band 36
meiner Familie zu verheiraten“, entgegnete St. Aubin scharf. „Auch mein Bruder weiß nichts von meiner Absicht, mich zu vermählen.“
„Wann werde ich Eure Familie kennenlernen?“, fragte Genevra ein wenig ängstlich. St. Aubins Gemütsverfassung hatte sich völlig verändert. Wenn er seine Verwandten als nicht akzeptabel empfand … Sie konnte nicht glauben, dass er seine Mutter ohne Grund fernhielt …
Robert blickte sie brütend an. „Ich weiß es nicht. Ist es von Bedeutung?“
Genevra zögerte fast unmerklich. „Nein“, sagte sie. „Ich nehme Euch zum Manne, nicht Eure Familie. Ich werde warten, bis Ihr bereit seid, nach Thirkall zu reisen. Die Verbindung wurde von Lord Northempston arrangiert, und seine Anwesenheit genügt.“
St. Aubin nickte. „So … seid Ihr zufrieden, Demoiselle?“, fragte er.
Genevra schob ihre Zweifel beiseite und lächelte. Dabei wurden die Grübchen auf ihren Wangen wieder sichtbar. „Ich bin zufrieden“, bekräftigte sie.
Und sie war es auch. Was immer St. Aubin dazu bewegte, seine Familie der Hochzeit fernzuhalten, ging sie nichts an. In Familien gab es oftmals Meinungsverschiedenheiten, das wusste sie nur zu gut.
Sie wäre glücklich gewesen, hätten sich ihr Onkel und ihre Tante entschlossen, vor der Zeremonie abzureisen, doch dafür bestand wenig Hoffnung. Sie würden die großzügige Gastlichkeit des Earls genießen, solange sie konnten. Wenn St. Aubin indes mit seiner Familie im Zwist lag, dann konnte sich ihr Leben in Thirkall als schwierig erweisen.
Ein Knappe trat ein und verkündete Northempston, dass das Bankett beginnen könne. Der Earl gab seine Zustimmung und unterbrach die Gespräche der Anwesenden. Fanfarenstöße kündigten den Beginn der Feierlichkeiten in der Großen Halle an, und der Earl zog an der Spitze seiner Ehrengäste in den Saal ein.
Pagen knieten vor ihnen und boten mit Wasser gefüllte Schüsseln und Tücher dar, damit die Gäste die Hände reinigen konnten. Genevra, an der Seite St. Aubins, tauchte ihre Finger ins Wasser und trocknete sie mit dem dargebotenen Tuch.
St. Aubin saß zur rechten Seite des Earls und Genevra neben ihrem zukünftigen Gemahl. Vor ihnen auf der mit Leinen bedeckten Tafel lag das große Stück Verlobungsbrot, das ihnen als Teller für die gereichten Speisen dienen und das sie miteinander teilen sollten. Ein großer Kelch aus Ahornholz, reich mit Silber verziert, stand daneben. Die Pagen und Knappen hatten schon große Platten aus Gold und Silber mit Brot, Butter, Pasteten und kaltem Fleisch an die Tafeln gebracht und ebenso kleine Holzkistchen bereitgestellt, in denen Kräuter und kostbare Gewürze aufbewahrt wurden.
Auch die anderen Tische weiter unten in der Großen Halle waren ähnlich gedeckt, nur waren dort die Platten aus Holz oder Zinn, manche auch aus Silber. Besonders prachtvoll waren jedoch die riesigen Salzgefäße, die die Tische der Adeligen, der Ritter und der Ehrengäste von den anderen, die weiter ab saßen, unterschieden.
Am anderen Ende der Großen Halle waren Bänke für die Diener und das Gefolge aufgestellt, die dicht besetzt waren. Darunter war ganz gewiss auch Meg. Genevra konnte sie in der Menge jedoch nicht erkennen.
Die Gäste, die hier versammelt waren, trugen ihre kostbarsten Gewänder, die schönsten Juwelen glänzten im Feuerschein des großen Kamins, der Fackeln und Kerzen, die die Halle erleuchteten, aber auch mit heißem Rauch erfüllten. So mancher der Kaufleute, die unterhalb des Salzes, das eine gewisse Trennlinie zwischen Adel und Bürgertum darstellte, saßen, hatte sich prächtiger gekleidet und geschmückt als die noblen Herren. Genevra dachte bei sich, dass sie sich wohl wenig um die Gesetze kümmerten, die festlegten, welche Stoffe und Farben von Leuten niederen Standes getragen werden durften.
Hinter jedem Adeligen und Ritter und seiner Dame stand zumindest ein Knappe, um aufzuwarten, und viele hatten noch einen Pagen mitgebracht, der stolz die Farben und das Wappen seines Herrn trug. Hunde lagen zu den Füßen ihrer Herren oder warteten neben den Dienern auf Bissen, die von der Tafel abfielen.
Die Banner und Wimpel hingen als stumme Zierde von den Balken und hüllten die Säulen in schimmernden Glanz. Teppiche und Fresken schmückten die Wände. Genevra glaubte, noch nie in ihrem Leben etwas so Prachtvolles gesehen zu haben. Bewundernd betrachtete sie den Prunk, der sich um sie herum ausbreitete.
Der Hausgeistliche des Earls sprach das Dankgebet. Die
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