Historical Exklusiv Band 36
seinen Antrag anzunehmen, aber sie dachte nicht nur an sich. Den Ausschlag hatte gegeben, dass er sich bereit erklärt hatte, ihre wohltätigen Unternehmungen zu fördern. Dass sie sich ihm so leidenschaftlich hingeben würde, davon hatte er nicht zu träumen gewagt. Jetzt durfte er sogar darauf hoffen, ihre Liebe zu gewinnen.
Den ganzen langen Nachmittag hielt sie Wache neben den grausigen Überresten von Dorrie Ribble. Sie wandte nicht den Blick ab, während der Friedensrichter und der Doktor die Wunden untersuchten. Tränen liefen ihr über das rußverschmierte Gesicht.
Charles stellte sich neben sie, legte ihr einen Arm um die Schultern und hoffte, dass seine Nähe ein Trost für sie wäre. Nur für die Dauer eines kurzen, ernsten Gespräches mit Dr. Dalton ließ er sie allein.
Endlich wurde der Karren gebracht, um die Leiche abzutransportieren und für die Beerdigung vorzubereiten. Da fühlte sich Catherine so müde und trostlos, dass sie sich erschöpft gegen ihn lehnte. Während Charles seine Frau zu ihrem Pferd brachte, begann die Kirchenglocke zu läuten. Mit gesenkten Köpfen blieben die beiden stehen.
Sechs Schläge waren zu hören und verkündeten den Tod einer Frau. Dann folgte eine Pause. Und wieder erklang die Glocke, ein Schlag für jedes Jahr von Dorries kurzem Leben, das so gewaltsam geendet hatte. Schweigend zählten sie mit.
Wieder war es still geworden, und Catherine hob den Kopf und sah Charles in die Augen. „Vierunddreißig. Sie war noch nicht einmal so alt wie du.“
Charles zog Catherine an sich. „Eine furchtbare Tragödie“, erwiderte er ihr und strich ihr über den Rücken.
„Wer kann nur so etwas Schreckliches getan haben? Welch ein grausamer, wahnsinniger Mensch hatte diese Tat begangen?“ Catherine lehnte sich zurück, um Charles in die Augen zu blicken.
Grimmig schüttelte Charles den Kopf. „Ich weiß es nicht, aber ich werde alles daransetzen, es herauszufinden. Und zwar sehr bald.“
Sobald Charles und Catherine zu Hause angekommen waren, sahen sie nach dem schmerzgeplagten Ribble, der sich in der Obhut von Hardraw und Mrs Hawes befand. Es war unmöglich zu sagen, ob sein Kummer oder seine Verbrennungen ihm mehr Schmerzen bereiteten. Er warf sich auf dem Bett hin und her, schrie manchmal auf und verlor dann wieder das Bewusstsein.
Charles spürte, wie kalte Wut in ihm aufstieg.
Noch nie war es ihm so schwergefallen, seine gewohnte Zurückhaltung zu bewahren wie in dieser Nacht. Wie ein Löwe im Käfig ging er in der Bibliothek auf und ab. Wulfdale war angegriffen worden. Einer seiner Leute – Menschen, für die er die Verantwortung trug – war einem feigen Mord zum Opfer gefallen, ein anderer war verletzt und durch den schmerzlichen Verlust fast um den Verstand gebracht.
Die gesetzlose Vergangenheit, in der es ihm freigestanden hätte, eine Heerschar bewaffneter Männer um sich zu sammeln und gnadenlos Jagd auf den Mörder zu machen, übte plötzlich einen Reiz auf Charles aus, der ihm zuvor völlig fremd gewesen war. Er wollte handeln, losreiten und den Mörder zur Strecke bringen. Aber er wusste nicht einmal, wo er mit seiner Suche beginnen sollte. Er konnte sich auch nicht wie Catherine durch Schimpfen und Zerschmettern von Gegenständen Erleichterung verschaffen.
Er war eben immer noch Charles Randolph und konnte nicht über seinen Schatten springen.
Catherine zog sich auf ihr Zimmer zurück und gab Anweisung, ihr ein Bad zu richten. Sie war schmutzig, und sie fühlte sich niedergeschlagen. Nur gut, dass man an diesem Abend auf das förmliche Abendessen verzichtet hatte. Vor Erschöpfung konnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Warum kam das in letzter Zeit öfter vor? Was war aus ihrer Energie geworden, auf die sie sich sonst immer verlassen konnte?
In dem Essen auf ihrem Tablett stocherte sie nur herum. Es schmeckte nicht. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen. Immer wieder tauchten vor ihrem inneren Auge die Bilder von Dorrie Ribbles geschundenem Körper auf.
Später saß Catherine vor dem Kaminfeuer, mal grübelnd, mal weinend. Arme Dorrie. Und ihr armer Mann. Wie sehr er sie geliebt haben musste. Allein der Gedanke ließ Catherine erneut in Tränen ausbrechen. Würde Charles sie auch jemals so innig lieben? War der nüchterne Mann, den sie geheiratet hatte, solch tiefer Gefühle fähig?
Der Wind frischte wieder auf. Catherine hörte, wie er um ihr Fenster pfiff und heulte. Plötzlich rief ihr das unheimliche Geräusch von Neuem das
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