Historical Exklusiv Band 36
unternahm die junge Frau, die zu Vincents Füßen ausgestreckt gelegen hatte, einen Versuch aufzustehen. Sie schaffte es, sich auf den Knien aufzurichten, und fasste Halt suchend nach Vincents Jacke. Er fluchte, schlug ihre Hände weg und stieß sie zu Boden. „Nimm deine dreckigen Finger weg, du Hure!“
Charles packte die Wut. Sein widerlicher Neffe war wirklich zu weit gegangen. Er packte Vincent am Handgelenk und zog ihn mit einem Ruck hoch. „Das ist genug, Vincent. Mehr als genug sogar. Letzte Nacht hat dich an ihren Händen doch auch nichts gestört. Mr Maidstone würden Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen?“
„Was …?“ Vincent stolperte hinter Charles her, der ihn zur Tür und aus dem Zimmer schleifte. Weiter ging es den Flur entlang zu einem kleinen Salon. Der junge Earl sträubte sich nach Kräften und versuchte, sich loszureißen, während er unaufhörlich fluchte.
Charles jedoch ließ nicht locker. Er zerrte ihn in den Salon und schleuderte ihn auf einen Stuhl. Vincent zuckte zusammen, stöhnte und kniff ein Auge zu. Adam folgte ihnen ein wenig erschrocken, schloss die Tür hinter den beiden und lehnte sich erwartungsvoll mit verschränkten Armen dagegen.
„So.“ Charles zog seinen Rock zurecht und sprach mit sanfter Stimme. „Ich habe genug von dir, du unverschämter Kerl.“
Erstaunt blickte Vincent zu seinem bisher eigentlich stets recht duldsamem Verwandten auf, der nun auf einmal drohend wie ein Racheengel vor ihm stand. Dann ließ er sich gegen die Stuhllehne fallen, verzog das Gesicht zu einer Grimasse und hielt sich die Hand schützend vor die Augen.
„Also wirklich, Charles, was soll das? Ich habe grässliche Kopfschmerzen. Hat das nicht bis morgen Zeit?“
„Ich habe mir schon viel zu lange Zeit damit gelassen. Auf deine Kopfschmerzen kann ich keine Rücksicht nehmen. Entweder du änderst jetzt dein Verhalten, oder ich werde dafür sorgen, dass es dir leidtut.“
„Oh?“ Vincent rappelte sich hoch, stand schwankend vor Charles und hauchte ihm seinen übel riechenden Atem ins Gesicht. „Und wie willst du das anstellen?“
„Das werde ich dir zeigen.“ Charles packte Vincent am Kragen, riss ihn mit einem Ruck nach vorn und gab ihm mit seiner Reitpeitsche einen Schlag auf den Allerwertesten.
Vincent schrie auf und wollte sich wegdrehen, aber Charles ließ es nicht zu. Er versetzte dem jungen Earl noch zwei Peitschenhiebe, ehe es diesem gelang, sich zu befreien. Das Gesicht wutverzerrt, wankte Vincent zur Seite.
„Du … du verdammter …! Dafür fordere ich Genugtuung. Bei Gott, das werde ich. Egal wann … egal wo. Pistolen … Säbel …“
„Nein, das wirst du nicht.“ Charles trat dichter an ihn heran, seine Miene war unerbittlich. Vincent wich zurück. „Meinst du etwa, ich werde mich um die Ehre mit dir duellieren?“ Charles kam einen Schritt näher. Vincent duckte sich. „Was weißt du denn schon von dieser Tugend? Was hat es mit Ehre zu tun, eine Dirne zu misshandeln, die du in dein Haus geholt hast? Oder ein Schankmädchen? Oder einen Gastwirt zu drangsalieren?“
Charles rückte seinem Opfer immer näher. „Nennst du das etwa Ehre, zu anständigen Männern und Frauen unverschämt zu sein? Oder deine Stiefmutter zu schikanieren? Du meinst wohl, Ehre heißt lediglich, sich für Beleidigungen zu rächen? Das stimmt nicht. Es bedeutet, höflich gegen andere zu sein, mit Untergebenen freundlich umzugehen, sein Wort zu halten und seine Schulden zu bezahlen. Und alle Frauen, ungeachtet ihres Standes, gut zu behandeln.“
Vincent taumelte gegen die Wand, und Charles packte ihn erneut am Kragen. Kräftig schüttelte er Vincent durch.
„Au! Au, mein Kopf. Lass mich los, Charles.“
„Für dich immer noch Onkel Charles.“ Wieder schüttelte er ihn. „Du kannst gleich bei mir damit anfangen, Höflichkeit zu lernen.“ Vincent wurde bleich und versuchte, Charles’ Hände wegzuschieben.
Charles fuhr mit eisiger Stimme fort: „Dein Vater hätte dir schon vor langer Zeit die Leviten lesen sollen, leider kann er das nicht mehr. Alles, was du hast, ist ein angeheirateter Onkel. Mich. Und ich habe mir vorgenommen, dir Manieren beizubringen.“
Vincent öffnete den Mund, hielt es dann aber für besser zu schweigen.
Jetzt beugte sich Charles dicht über ihn. „Du denkst wohl, das schaffe ich nicht? Du kannst doch nichts außer Trinken und Herumhuren. Wenn du mir beweisen willst, wie stark du bist, bin ich jederzeit dazu bereit. Nur du und ich, Mann
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