Historical Exklusiv Band 36
konnte.
Die Zeit verstrich. Heiße, windstille Tage wechselten mit Sturm und schwarzen Wolken. Blitze zuckten dann über den Himmel, und der Donner krachte, dass die Tiere angstvoll flüchteten und sogar Cain und Abel sich unter den Tisch verkrochen.
Seit den ersten Julitagen barg Genevra ein Geheimnis in ihrer Brust. Nur Meg kannte es. Ihre Unpässlichkeit war ausgeblieben, und sie wusste nun, dass sie endlich ein Kind unter dem Herzen trug.
Drogo war schon drei endlos scheinende Wochen in Merlinscrag. Alan war mit seinen Männern im äußeren Burghof und übte sich im Bogenschießen. Drogo war mit seiner Begleitung auf der Jagd. Genevra hatte gesehen, wie sie alle die Burg verließen. Meg war mit Genevras Erlaubnis zu ihrem Ehemann gegangen. All die anderen waren beschäftigt, da und dort in der Burg, auch Annys war abwesend, die spürte, dass die Zeit ihrer Niederkunft nahe war, und Ruhe brauchte.
Genevra war glücklich, einige Zeit für sich allein zu sein. Man lebte normalerweise in so enger Gemeinschaft, dass sich die meisten Menschen ohne die Gesellschaft anderer verloren vorkamen. Genevra indes hatte im Kloster gelernt, die Einsamkeit und die Stille zu schätzen, und sie genoss die wenigen Augenblicke, die sie allein verbringen konnte.
Gerade heute brauchte sie diese Zeit, denn sie hatte beschlossen, eine Kiste, die früher einmal ihrer Mutter gehört hatte, zu öffnen. Martin hatte sie entdeckt, sie war im Gebälk über der Kemenate versteckt gewesen. Man hatte sie unterhalb der Dachsparren mit einer Holzdecke abgeschlossen, und es gab nur eine kleine Falltür, die geöffnet werden konnte, um den Rauch des Kohlenbeckens besser abziehen zu lassen.
„Lady Margaret hatte diese Decke einziehen lassen, Mylady, um die kalte Zugluft abzuhalten“, hatte Martin erklärt. „Ich weiß nicht, ob sich dort oben noch etwas anderes befindet. Man kann die Falltür nur mit einer Leiter erreichen. Ich werde eine bringen lassen und hinaufklettern. Vielleicht entdecke ich etwas.“
Unter dicken Spinnweben hatte er die verstaubte Truhe gefunden, die mit wunderbaren Schnitzereien versehen war. Darin hatte Genevra bereits die von ihr vermisste Statue der Heiligen Jungfrau entdeckt. Sie hatte sie in die Nische oberhalb des Gebetsstuhles gestellt und gerade begonnen, den weiteren Inhalt der Truhe zu durchsuchen, als die Tür zum Schlafgemach ohne Umschweife geöffnet wurde.
Ein Knurren von Abel, der mit Cain im Schatten der großen Schranktruhe verborgen lag, warnte sie. Unwillkürlich schloss sie den Deckel der Truhe, als sie sich umwandte, um zu sehen, wer eingetreten war. Das Herz schien ihr zu stocken.
„Sir Drogo!“ Sie hatte Mühe, nicht laut herauszuschreien. „Wie könnt Ihr es wagen, mein Schlafgemach unaufgefordert zu betreten?“
Sein Lächeln sandte einen Schauer über ihren Rücken. Drogo trat näher. Zwar war er nicht betrunken, doch roch er trotz der frühen Stunde nach Wein. Genevra versuchte zurückzuweichen, wurde aber von dem Podest, auf dem das Bett stand, gehindert. Sie streckte eine Hand aus, um sich am Bettpfosten festzuhalten. Ihre Beine zitterten so stark, dass sie befürchtete, diese könnten ihr den Dienst versagen.
„Hättet Ihr mich denn dazu aufgefordert? Wohl nicht, teure Schwester. Ihr behandelt mich seit meiner Ankunft wie einen Eindringling. Glaubt nicht, ich hätte Eure Haltung mir gegenüber nicht bemerkt. Die unverhohlene Ablehnung, die Ihr mir bisher entgegenbrachtet, hat mich sehr verärgert. Was hat mein geliebter Bruder Euch von mir erzählt, das Euch so wachsam machte?“
Genevra bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. „Nichts“, versicherte sie wahrheitsgemäß. „Er sagte nichts, was mein Misstrauen Euch gegenüber weckte, Sir.“
„Was für ein Narr er doch ist!“
„Es war auch nicht notwendig, Sir! Euer eigenes Betragen und Euer Handeln waren Anlass genug!“
„Ich glaube nicht, dass mein Bruder solch anbetungswürdige Treue verdient, Mylady. Er wird nicht so enthaltsam sein, nehmt mein Wort dafür. Er wird sich nichts dabei denken, eine Schankmagd in sein Bett zu holen.“ Mit einem bösartigen Grinsen sah er, wie sie bei seinen Worten erschrak, und trat einen Schritt näher.
Dann plötzlich änderte sich sein Ausdruck. Genevra schluckte, als sie seinen drohenden Blick sah. „Ihr werdet heute Nacht Eure Leibwache fortschicken, meine hübsche Dame, und mir erlauben, Euch Freuden zu schenken, zu denen Euer Gatte nicht fähig
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