Historical Exklusiv Band 36
musste ihn ganz allein willkommen heißen.
„Ihr werdet es schon schaffen, mein Täubchen.“
Bei Megs Worten klopfte einer von Roberts Pagen an der Tür und trat nach einem Wort der Aufforderung ein.
„Der Burgvogt sendet seine untertänigsten Grüße, Mylady. Er lässt fragen, ob Ihr bereit seid, Sir Drogo St. Aubin zu empfangen?“
„Sir Drogo?“, murmelte Genevra schwach. „Den Bruder Seiner Lordschaft?“
„Ja, Mylady.“
Sie konnte nicht erwarten, dass der Junge wusste, was Roberts Bruder hier wollte. Das musste sie selber herausfinden.
„Ich komme hinunter“, sagte sie dem Pagen. Lieber wollte sie ihn im Rittersaal empfangen als hier in ihrem privaten Schlafgemach. Schwager oder nicht, für sie war er ein Fremder.
Doch irgendetwas an diesem plötzlichen, unerwarteten Besuch erschien ihr merkwürdig.
8. KAPITEL
D rogo St. Aubin hatte einen gestutzten Bart und dieselbe helle Hautfarbe wie sein Bruder. Auch seine Augen waren blau, leuchteten jedoch etwas heller, mit einer Spur Grau darin. Er hatte seinen Hut vor Genevra gezogen, und sein Haar hatte den gleichen Schimmer wie Roberts. Im Gegensatz zu Roberts glatten Haaren fiel es in Locken von seinem Haupt. Es fehlte ihm der Höcker auf der Nase, und Genevra dachte bei sich, dass viele den jüngeren Mann – er musste etwa fünf Jahre nach Robert geboren worden sein – für den hübscheren der beiden Brüder hielten, vor allem, da seinen Zügen der harte Ausdruck fehlte und die starke Autorität, die sich Robert in so vielen Jahren im Felde erworben hatte.
Der Gruß des Ritters war nach allen höfischen Regeln untadelig. Doch seine Augen hatten einen fragenden Ausdruck, der schon fast an Unverschämtheit grenzte, als seine Blicke die ihren trafen. Auch konnte er ihrem klaren, offenen Blick nicht lange standhalten. Sie zog jedenfalls die Charakterlinien, die Roberts Gesicht geprägt hatten, dem weichen, glatten Gesicht seines Bruders vor, in dem die Linie des Kinns auch noch durch den Bart verdeckt wurde. Und doch konnte dieser Bart nicht den Ansatz zum Doppelkinn verdecken. Sir Drogos Lippen waren geschwungen und von einem hellen Rosa. Roberts Mund war breit, wohlgeformt und entschlossen. Wenn Robert lächelte, schmolz ihr Inneres dahin. Bei Drogos Lächeln zog sich ihr Magen krampfhaft zusammen. Sie schenkte ihm kein Vertrauen.
Die beiden waren so unterschiedlich wie nur möglich, das hatte sie gleich beim ersten Anblick entdeckt. Drogo zahlte wohl lieber den Schildpfennig, als die Entbehrungen und die Härte eines Kriegerlebens zu ertragen, Robert hingegen hatte viele Jahre fern der Heimat das Schwert für seinen König geführt. Und doch war es unübersehbar, dass sie Brüder waren. Die Unterschiede waren gering, für ihre scharfen Augen indes leicht zu erkennen.
Er mochte zwar Roberts Bruder sein, doch sie vertraue ihm nicht.
Es war nur ihr Gefühl, das sie ihn ablehnen ließ. Robert hatte niemals ein Wort gegen seinen Bruder gesprochen, er hatte lediglich sehr zurückhaltend bei der Erwähnung von Sir Drogos Namen reagiert. Auch Cain und Abel schienen keine große Vorliebe für ihn zu haben. Sie jaulten und bellten bei seinem Anblick, und sie musste die Tiere beruhigen.
„Dumme Köter“, sagte Sir Drogo in schleppendem Tonfall und stieß mit dem Fuß nach Abel, sein Tritt jedoch verfehlte das Ziel. „Ich kann Hunde auf den Tod nicht leiden.“
„Das spüren sie vielleicht auch, Sir“, entgegnete Genevra und streichelte beruhigend Abels Kopf.
Genevra hatte Sir Drogo mit allen ihm zustehenden Ehren empfangen, doch sie fühlte in ihrem Innersten, dass sein Besuch Unheil bringen sollte.
Sir Drogo hatte den ihm angebotenen Platz eingenommen, man hatte einen Krug Bier und einen Humpen gebracht, und Genevra nahm ihre Stickerei auf. Sie brauchte etwas, um ihre Hände zu beschäftigen, und eine Ausrede, um ihn nicht ständig anblicken zu müssen.
„Ich bedauere sehr, dass mein Gemahl nicht hier ist, um Euch zu begrüßen. Ihr bringt Neuigkeiten von Eurer Mutter?“, fragte sie.
„Lady St. Aubin? Nein, warum fragt Ihr?“
„Lady Alida, Eure Schwester, hatte eine Nachricht gesandt, dass die Lady, Eure Mutter, erkrankt sei und Lord St. Aubin zu sehen wünsche. Wisst Ihr davon nichts?“
Sie hatte den Kopf über ihre Stickerei gebeugt und betrachtete sein Gesicht unter ihren Wimpern hervor. Sein Mund verzog sich zu einem kurzen zufriedenen Lächeln.
„Nein, nichts, Schwester. Ich hoffte sehr, von meinem Bruder willkommen
Weitere Kostenlose Bücher