Historical Exklusiv Band 36
lange er wohl bliebe. Da Robert abwesend war, gab es keinen Grund für ihn, länger als eine Nacht unter dem Dach von Merlinscrag zu verweilen.
Genevras Hoffnung, Sir Drogo könnte bald wieder abreisen, hatte sich zu ihrer Enttäuschung als Trugschluss erwiesen. Doch ohne grob und ungastlich zu erscheinen, konnte sie ihn nicht zur Abreise auffordern. Und als Tag um Tag verstrich, keimte in ihr der Gedanke auf, dass er die Absicht hatte, auf die Rückkehr seines Bruders zu warten.
Das wäre nicht so schlimm gewesen, hätte er nicht immer wieder versucht, sie mit Komplimenten zu bedrängen. Er suchte mit den fadenscheinigsten Entschuldigungen ihre Gegenwart, lud sie ein, mit ihm zu reiten und zu jagen. Immer wieder lehnte sie ab und ritt nur in seiner Abwesenheit aus, wenn sie Lust dazu verspürte.
Ständig stellte er Fragen über sie und Merlinscrag, die sie förmlich beantwortete, oder forderte sie zu einem Schachspiel auf, bei dem sie sich bemühte, schnell zu verlieren, bedrängte sie mit sentimentalen Liedern, bei denen er seine leichte Tenorstimme auf einer Laute aus Ebenholz und Elfenbein begleitete, und gab ihr immer wieder zu verstehen, dass sie einen tiefen Eindruck bei ihm hinterließ. Und dass er sie gerne verführen würde, wenn er könnte.
„Was soll ich nur machen, Meg?“, fragte sie voll Verzweiflung nach einer Woche seiner Anwesenheit. „Er ist mir im Herzen zuwider, doch schon St. Aubins wegen kann ich nicht unhöflich zu ihm sein.“
„Vielleicht ist er eifersüchtig auf seinen Bruder, mein Täubchen. Mein Bernard sprach mit einigen der Bewaffneten. Es herrscht Rivalität, die Wachen Seiner Lordschaft denken, Sir Drogo könne sich nicht damit abfinden, der jüngere Sohn zu sein. Er beanspruche die Baronie für sich selbst.“
„Und deshalb versucht er, sich in meine Gunst einzuschmeicheln, um seinen Bruder damit zu verärgern? Robert ist nicht einmal anwesend!“
„Das stimmt, mein Täubchen, er weiß indes, dass die Dienerschaft immer redet. Nicht, dass die Unseren so sind wie seine Leute. Alan hat gewiss keine leichte Aufgabe, die Männer der beiden Eskorten von Prügeleien abzuhalten. Und Sir Drogos Leute machen genug Ärger, sie reiten über das Land ohne Rücksicht auf das Wohl der Menschen und der Tiere.“
„Wirklich? O Meg, das wusste ich nicht.“
„Begebt Euch nicht ohne Eskorte aus dem Haus, mein Täubchen. Ich traue diesen Kerlen keinen Steinwurf weit. Und Alan tut dies auch nicht, denn Lord Robert hat Eure Sicherheit in seine Hände gelegt. Wisst Ihr, dass er des Nachts vor Eurer Türe schläft und seine Leute auf den Treppen Wache halten?“
„Nein.“ Genevra erschauderte. Auch ihr war der Anblick von Drogos Leuten nicht geheuer. Dass Drogo alles daransetzte, sie zu verführen, war eine Sache. Sie konnte jedoch nicht glauben, dass seine Männer ihr etwas antun könnten.
„Vielleicht ist dies alles auch nur Einbildung, Meg. Aber ich werde achtsam sein. Deshalb sind auch stets die Hunde bei mir und liegen im Bett, solange Lord Robert abwesend ist. Und auch du hast deine Schlafstatt hierhergebracht. Armer Alan!“ Sie seufzte. Es war in der letzten Zeit nicht ihr einziger Seufzer gewesen. „Wenn doch nur Robert nicht fort wäre!“
„Alan ist ein fähiger Bursche und würde Euch mit seinem Leben beschützen. Ich wette, er hat Euch zum Gegenstand seiner unerfüllten, höfischen Liebe gemacht. Aber er kennt auch Sir Drogo besser als wir, und er ist beunruhigt. Betet zu Gott, dass Euer Herr bald wiederkehrt!“
„Es werden wohl noch drei Wochen bis zu seiner Rückkehr vergehen“, klagte Genevra. „Länger sogar, falls er mehr Zeit bei seiner Mutter verbringen muss.“
Ihre Stimme klang so verzweifelt, dass Meg das Bedürfnis verspürte, sie aufzumuntern. „Die Zeit vergeht schnell, mein Täubchen. Und Sir Drogo ist so sehr bemüht, Euch zu unterhalten!“
„Ich hege nicht den Wunsch, mit ihm Schach zu spielen oder mir seinen Gesang anzuhören, und schon gar nicht, einen Zwiegesang mit ihm zu singen! Und ich weiß, er zecht mit seinen Männern, wenn ich mich zurückgezogen habe.“
„Dann können sie wenigstens keinen Schaden mehr anrichten, wenn sie vor Trunkenheit umfallen.“
Genevra war immer wieder über Megs Scharfsinn und Witz erstaunt. „Das ist wahr!“ Sie musste lachen. „Ich werde ihnen also in Zukunft das Bier nicht neiden, da es sie so ungefährlich macht!“
Jedoch nicht so ungefährlich, dass Alan des Nachts in seinem Bett tief schlafen
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