Historical Exklusiv Band 42
läuten, Miss Grey?“
Talitha tat ihr den Gefallen und blieb anschließend in der dämmrigen Ecke am Glockenzug stehen. Sie hatte zu verschiedenen Gelegenheiten einen flüchtigen Blick auf den jungen Lord Parry werfen können, wenn sie sich im Flur begegnet waren. Im Grunde hegte sie nicht die Befürchtung, er könne sie von dem Gemälde gestern her erkennen. Allerdings hatte sie keinerlei Bedürfnis, von irgendeinem der Männer, die dabei gewesen waren, überhaupt wahrgenommen zu werden. In jedem Fall stand es ihr nicht zu, sich in den Vordergrund zu drängen.
Rainbird betrat den Raum und informierte Lady Parry, dass die Lordschaften sich ins Studierzimmer begeben hatten. „Wünschen Ihre Ladyschaft, dass ich eine Botschaft überbringe?“
„Ja, Rainbird, bitte ersuchen Sie die beiden, hierherzukommen. Mein Neffe müsste auch dabei sein“, fügte sie an Talitha gewandt hinzu.
„Ich werde im Vestibül warten, Mylady. Sie werden sicher allein sein wollen.“
„Keineswegs, Miss Grey, bitte, kommen Sie … William, mein lieber Junge! Und mein Lieblingsneffe ebenso. Was für ein Glück, ihr könnt mich heute Abend beide begleiten.“
William, Lord Parry, war zwanzig Jahre alt. In eine vermögende Familie geboren und mit einem eher mädchenhaft guten Aussehen gesegnet, war er, sehr zur Erleichterung seiner Mutter, zu einem durch und durch freundlichen, unverdorbenen jungen Mann herangewachsen, wenn auch ein wenig kindlich für sein Alter. Eine passende Frau würde ihn reifen lassen, dessen war sich Lady Parry sicher, und bis dahin war sie froh, dass er sich unter dem scheinbar sorglosen Auge seines Wächters, ihres Vertrauten und Neffen Lord Arndale, die Hörner abstoßen konnte.
Entwaffnend grinsend begegnete William dem angriffslustigen Unterton in der Stimme seiner Mutter. „Dich begleiten, Mutter? Äh … ich glaube, ich bin bereits verabredet, ich bin mir sogar ziemlich sicher.“
Sein Begleiter folgte ihm in den Raum und durchquerte ihn, um Lady Parrys Hand in die seine zu nehmen. „Tante Kate.“ Er beugte sich hinab, um ihre Wange zu küssen, ein großer, dunkelhaariger Mann in tadellos sitzenden Reithosen. „Ich hoffe, es geht Ihnen gut heute Morgen, Mylady? Ich bin äußerst erfreut, Ihnen sagen zu dürfen, dass William heute Abend keine wie auch immer geartete Verabredung getroffen hat. Deswegen wird er höchst erfreut sein, Sie zu jedem Konzert mittelalterlicher Musik zu begleiten, nach dem Ihnen der Sinn steht.“
Lady Parry lachte und ignorierte die wütenden Proteste ihres Sohnes. „Nichts in der Art, du unartiger Mensch. Ich würde mich freuen, wenn ihr beide mich zu einer Soiree bei Lady Cressett begleiten würdet. Ich verspreche, es gibt keinerlei mittelalterliche Musik, nur ein paar Kartentische.“
Stocksteif stand Talitha noch immer in ihrer Ecke des Zimmers. Lady Parrys Neffe war niemand anderes als der Mann, mit dem sie gerade auf der Straße zusammengestoßen war, der Mann, der sie gestern im Atelier beschützt hatte. Zu ihrem Entsetzen bemerkte sie, dass Lady Parry ihre Anwesenheit wieder zu Bewusstsein gekommen war und sie sich auf dem Sofa herumdrehte, um nach ihr zu sehen.
„Miss Grey, kommen Sie doch bitte her, setzen Sie sich wieder.“
Talitha drückte sich tiefer in die Schatten. „Miss Grey hat freundlicherweise eine Besorgung für mich erledigt und hatte auf dem Weg hierher einen höchst bedauerlichen Unfall.“
Beide Männer blickten in ihre Richtung, und Talitha wurde klar, dass sie sich zeigen musste. Sie trat einen Schritt vor, wobei sie den Blick gesenkt hielt und die Hände vor sich zusammenpresste.
„Nicholas, dies ist Miss Grey. Miss Grey, Lord Arndale, mein Neffe. Meinen Sohn haben Sie, wie ich glaube, bereits bei anderer Gelegenheit kennen gelernt?“
Talitha knickste höflich ohne aufzuschauen. Wurde sie wieder rot? Ihr Herz schlug zumindest heftig. „Lord Arndale, Lord Parry.“
Mit der für ihn typischen Eilfertigkeit trat William Parry auf sie zu. „Was höre ich, Miss Grey! Sind Sie verletzt?“
„Nein, nein, überhaupt nicht, Mylord.“
„Wenn du vielleicht etwas zur Seite treten würdest, William, dann könnte Miss Grey sich wieder auf ihren Platz setzen“, schlug Nick Stangate in trockenem Tonfall vor. Mit unterdrückter Belustigung beobachtete er seinen Cousin. „Dies war Ihr Stuhl, denke ich, Miss Grey?“ Er zeigte auf einen Ohrensessel, auf dem eine Tasche lag, deren triste Schlichtheit einen erschreckenden Kontrast zu der
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