historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
Vorankommen der Ochsenkarren behindert. Dann brach an einem der Wagen die Achse, und das Missgeschick zwang Benjamin l'Eveske, mitten im Königlichen Walde Rast einzulegen.
Er wies den Scharmeister der ihn begleitenden Soldaten an, ein Lager aufzuschlagen, und erteilte den Trossknechten den Befehl, unverzüglich den Schaden an dem Karren zu beheben.
Der Gedanke, die Nacht im Forst verbringen zu müssen, behagte ihm ganz und gar nicht, doch das ließ sich nun nicht mehr ändern.
Dunkelheit senkte sich über den Tann, und endlich hörte es auch zu regnen auf. In der kühlen Luft fröstelnd, nahmen die Gerüsteten das in den Satteltaschen mitgeführte Essen ein, während Benjamin l'Eveske, seine Familie und die zehn Mitglieder des Haushaltes auf den Fuhrwerken hockend das Mahl verzehrten.
Nach einer Weile hatten sich auch die letzten Wolken verzogen, und klar flimmerten die Sterne am nächtlichen Firmament. Anders als die übrigen Reisenden, die mühsam ein Feuer zu entzünden trachteten, verspürte Benjamin l'Eveske den Wunsch, sich nach der Fahrt etwas die Beine zu vertreten, und bat seine Frau, ihn auf einem kleinen Spaziergange zu begleiten.
Seite an Seite und Hand in Hand schlenderten sie ein Stück des Weges zurück. Nachdem sie außer Hörweite waren, erkund igte Benjamin sich leise: „Meinst du, es wird dir in Lincoln gefallen?"
„Ja, ich denke schon", antwortete Sarah heiter. „Vielleicht sogar besser als in Shrewsbury, da dort bereits Juden ansässig sind. Gewiss, bar aller Sorgen werden wir auch in Lincoln nicht leben können, denn neidische Mitbürger gibt es überall, und zudem mag die geschäftliche Lage nicht sehr günstig sein."
„Bedauerlich, dass unsere Pläne sich hier zerschlagen ha ben", sagte Benjamin und seufzte.
„Ach, mir tut es nicht sehr leid. Wenigs tens haben wir rechtzeitig erfahren, welch üble Machenschaften dieser Gembloux mit uns im Sinn hatte." Überrascht hielt Sarah inne und lauschte.
Dumpfe Hufschläge waren zu vernehmen, und langsam kam ein müde dahertrottendes Pferd in Sicht. Rasch zog Benjamin die Gattin hinter ein Gebüsch und beobachtete vorsichtig den Reiter.
Er hing über dem Hals des Tieres, schwankte im Sattel und schien verletzt zu sein.
„Bist du in Nöten?" rief Benjamin ihm halblaut zu.
Ruckartig richtete die schmale Gestalt sich auf und starrte den Kaufmann furchtsam an.
Im Schein des Mondes sah er, dass es sich um ein Mädchen handelte. Das sicher recht hübsche Gesicht war von Müdigkeit gezeichnet, und die Kleidung starrte vor Schmutz.
„Du meine Güte, Kind!" sagte Sarah l'Eveske erschrocken und lief auf die Schneise. „Was ist dir widerfahren?"
„Nichts", antwortete Meriel matt und erleichtert, dass kein Strauchdieb ihr aufgelauert hatte. „Ich bin auf dem Weg zum Hause meines Bruders."
„Du zitterst ja!" stellte Sarah besorgt fest. „Komm, verbring die Nacht bei uns, wärme dich auf und stärke dich. Unser Lager ist nicht weit entfernt."
„Ich weiß nicht recht", erwiderte Meriel unsicher.
„Tu, was meine Gattin dir rät", sagte Benjamin l'Eveske freundlich. „Sonst fällst du noch vor Erschöpfung vom Pferd und wirst ein Opfer wilder Tiere."
Meriel schaute von einem zum anderen und entschloss sich, das Angebot anzunehmen. „Ja, danke", willigte sie mit kleiner Stimme ein.
Der Kaufherr ergriff das Tier beim Zaum, führte es ins Lager und reichte der jungen Frau die Hand.
Fast wäre Meriel gestürzt, hätte er sie nicht unter den Armen aufgefangen. „Verzeiht", murmelte sie benommen. „Ich werde mich gleich besser fühlen."
„Natürlich!" sagte die Frau des Kaufmannes besänftigend und trug ihrem Mann flüsternd auf, die arme Kleine auf einen Wagen zu heben. Dann befahl sie einer Magd, eine Schale Brühe über dem inzwischen flackernden Feuer zu erwärmen, und wies den Sohn an, dem Rotfuchs das Gereit abzunehmen und ihn gut trocken zu reiben.
Nachdem Benjamin l'Eveske die Reiterin in den Kobelwagen getragen und auf einen Strohsack gebettet hatte, kletterte er herunter und blieb erstaunt auf dem Tritt stehen. „Vater", raunte Aaron ihm zu und wies in das Fahrzeug, „hast du gesehen, wer das ist? Die Countess of Shropshire!"
„Wirklich?" Verwundert betrachtete der Händler das schmale, eingefallene Gesicht des Mädchens und verglich es in Gedanken mit dem strahlenden, glücklich lächelnden Antlitz der Herrin, der er in Warfield Castle begegnet war. „Ich glaube, du hast recht, Sohn", murmelte er
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