historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
Wintermonaten aufgehört und würden jetzt im Lenz gewiss wieder einsetzen. In weiser Voraussicht war Richard deshalb auch an diesem milden Frühlingstag auf die Ringwehr gegangen, um die Befestigungsanlagen zu überprüfen und zu sehen, welche Verbesserungen notwendig seien.
„Es ist Mylord Warfield", rief der Wachmann.
Im selben Moment bemerkte Richard den Silberfalken auf der blauen Standarte und sah die hellblonden Locken des Halbbruders in der Sonne schimmern.
„Adrian ist schnell aus Rouen zurück", sagte er beeindruckt. „Ich hatte nicht vor April mit seiner Rückkehr aus der Normandie gerechnet." Der Bruder hatte Maud, die nach neun fehdereichen Jahren in das Hoheitsgebiet ihres Gemahles Geoffroir d'Anjou zurückgekehrt war, an den angevinischen Hof begleitet.
Richard verließ die Kurtine über die steile Treppe, suchte den Truchseß auf und wies ihn an, dem Zwingherren von Montford ein festliches Willkommensgelage auszurichten. Dann trug er dem Kämmerer auf, alles für den Aufenthalt der Gäste vorzubereiten, und begab sich nach einer Weile zur Begrüßung des Baron of Warfield in den Hof.
Nach dem herzlichen Wiedersehen und dem anschließenden Gastmahl, bei dem, bedingt durch die Fastenzeit, leider nur Fischgerichte aufgetischt werden konnten, zogen die Brüder sich in Richards Studierzimmer zurück, während Adrians Gefolge und die Mannen von Montford im Saale der Ritter weiterprassten und sich am reichlich fließenden Weine gütlich taten.
Die Tage waren zwar lauer, die Abende jedoch noch winterlich kühl. Richard de Lancey ging zum Kamin, schürte das Feuer und legte einige Scheite nach.
Schweigend stützte Adrian die Hände auf den Fenstersims und schaute in die Nacht hinaus.
Er war froh, wieder auf eigenem Grund und Boden zu sein, und im stillen beglückwünschte er sich, wie so viele Male vorher, auch jetzt, einen Bruder zu haben, dessen Loyalität, Urteilsvermögen und kämpferisches Geschick ihresgleichen suchten. Er hatte ihn zum Kastellan von Montford ernannt, der Zwingburg, die nach dem Wiedererstehen von Warfield Castle zur Verteidigung des südlichen Teiles der Baronie errichtet worden war. Richard hatte die Leitung der Bauarbeiten innegehabt, und so war Montford nach seinen Vorstellungen entstanden, während Warfield von Adrians Geschmack ge prägt wurde.
Richard hängte den Schürstab an den neben dem Schlot im Stein eingelassenen Eisenhaken, richtete sich auf und erkundigte sich neugierig: „Wie geht es Königin Maud?"
Adrian wandte sich vom Fenster ab, ging zu einem ledernen Faltstuhl und setzte sich.
„Natürlich betrauert sie Gloucester von Herzen", antwortete er ruhig, „aber sein Tod hat sie nicht in Verzweiflung gestürzt."
„Ja, für uns alle, die ihn kannten, war sein Ableben ein schwerer Schlag", stimmte Richard düster zu. Robert, Earl of Gloucester, war im Herbst des ve rgangenen Jahres plötzlich
verschieden, und sein jäher Tod hatte viele Hoffnungen der Halbschwester zunichte gemacht.
Im Streit um die Thronfolge hatte er Partei für die einzige legitime Erbin des früheren Königs Henry ergriffen und sich vorbehaltlos in den Dienst ihrer Sache gestellt. Der Verlust dieses mächtigen, vermögenden und sehr erfahrenen Heerführers konnte für Adrian und die anderen Barone, die ebenfalls loyal zu Maud of England standen, schwerwiegende politische Ver
änderungen bedeuten, sollte Stephen de Blois nun die Oberhand gewinnen und ganz England beherrschen.
„Vielleicht erreicht Maud doch noch ihr Ziel, indem sie in Ruhe die Entwicklung der Dinge abwartet", sagte Adrian und lächelte etwas spöttisch. „Der König ist sich selbst der ärgste Feind. Kaum hat er einen Vorteil errungen, missachtet er ihn auf die leichtsinnigste Weise. Er kann nicht bei Sinnen sein, sich jetzt mit der Kirche anzulegen."
„Nachdem er Bernard de Clairvaux, Papst Nikolaus und den Bischof von Canterbury gegen sich aufgebracht hat, die ja auf dem Vorrecht des Heiligen Vaters bestehen, die Christenheit allein zu regieren, kann Stephen kaum damit rechnen, dass sein ältester Sohn vom hohen Klerus als Thronfolger anerkannt wird." Richard nahm eine weingefüllte Zinnkanne, schenkte süffigen Falerner in zwei Silberpokale und reichte einen dem Bruder.
„Er ist bestimmt der einzige im ganzen Reich, der nicht sieht, dass sein Sohn fast alle seine Schwächen, aber keine der Tugenden geerbt hat", erwiderte Adrian kopfschüt telnd. „Eustace wäre zum Regieren vollkommen unbegabt und würde
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