historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
Kurtisane.
Bei diesem Gedanken wallte der Zorn der Entrüstung in Meriel auf, und nun fühlte sie sich erst recht versucht, sich der ganzen Pracht umgehend zu entledigen. Sie atmete tief durch, ließ die Sachen unbeachtet liegen, wo sie waren, und wandte sich brüsk ab.
Das Kätzchen hochnehmend, streichelte sie es eine Weile und setzte es dann unter dem Bett ab. „Du musst brav sein und dich ganz still verhalten!" beschwor sie Galam. „Du willst doch nicht, dass man dich entdeckt und mir fortnimmt, nicht wahr?" Die Katze miaute leise, legte das Köpfchen auf die Vorderpfoten und Schloss die Augen.
Meriel hoffte, Galam möge einschlafen, ließ sich am Fenster nieder und wartete auf den Knappen, der sie zu Mylord Warfield bringen würde.
Einige Zeit verstrich, bis schließlich die Tür geöffnet wur de. Meriel hatte nicht damit gerechnet, den Earl of Shropshire zu sehen, und wunderte sich im selben Moment, wie abgespannt er wirkte. Flüchtig kam ihr in den Sinn, dass vielleicht die ständigen Streitigkeiten mit Guy de Burgoigne einen für ihn ungünstigen Verlauf genommen hatten.
Er schaute sie an, und seine Miene verhärtete sich. „Warum trägst du noch immer die hässliche braune Tunika?" fragte er streng.
„Ich lege keinen Wert auf deine großzügigen Gaben", antwortete sie, während sie sich langsam erhob. „So, wie ich jetzt gekleidet bin, entspricht es meinem Stande und meinen Bedürfnissen."
„Du siehst schäbig aus", entgegnete Adrian de Lancey scharf. „Da ich daran schuld bin, ist es nur recht und billig, dass ich Abhilfe schaffe."
Die Begründung war stichhaltig, doch Meriel widersprach kühl: „Du irrst, Herr! Ich bin dafür verantwortlich, weil ich den Fluchtversuch gewagt habe. Also besteht für dich kein Anlass, mir entgegenzukommen. Und ich möchte dir nicht verpflichtet sein!"
Ergrimmt über die Kühnheit, sich seinen Anordnungen so dreist zu widersetzen, war Adrian mit wenigen schnellen Schritten bei Meriel, fasste blitzschnell in den Halsausschnitt der Tunika und riss mit aller Kraft den morschen Stoff bis zur Taille herunter.
Von der Heftigkeit des Rucks nach vorn gezogen, taumelte Meriel auf den Earl zu und starrte ihn erschrocken an. Bang drückte sie die Hände auf die Brüste, die sich unter der dünnen Chainse deutlich abzeichneten. Das begehrliche Aufflackern in Adrian of Warfields grauen Augen zeigte ihr, dass auch er sich des verführerischen Reizes bewusst war.
„Wenn du nicht unverzüglich eine der Roben anziehst, die ich dir habe bringen lassen, zerre ich dir auch noch das Hemd vom Leibe!" sagte er hart. „Und wer weiß, was dann geschieht! Ich gehe jetzt, aber ich erwarte, dass du bei meiner Rückkehr einen anderen Anblick bietest!" Schroff wandte er sich ab, ging aus dem Raum und versperrte ihn.
Trotzig beschloss Meriel, sich nicht einschüchtern zu lassen, kam jedoch nach einer Weile zu der Erkenntnis, dass es besser sei, dem Earl zu gehorchen. Angesichts seiner ge reizten Stimmung war es ratsamer, ihn nicht noch mehr zu verärgern. Im übrigen war es unwesentlich, ob sie eines der neuen Gewänder trug oder nicht. Das war noch lange keine Einwilligung, sich Adrian of Warfields Wünschen zu fügen.
Missmutig streifte sie die eigenen Sachen ab und schlüpfte aus Sorge, überrascht zu werden, eilends in Schuhe aus besticktem Stoff, eine weiße Chainse aus feinstem Linnen und eine lichtblaue Seidentunika. Dann wählte sie ein Bliaut in der Farbe von Kornblumen, dessen Ausschnitt, Ärmel und Saum nur mit schmalen Silberbordüren verziert waren, zog die Kordeln an den geschlitzten Seiten zusammen und verknüpfte sie. Zum Schluss hob sie die langen braunen Locken hoch, befestigte den kurzen Schleier und legte ein weißes Gebende an. Unvermittelt kam ihr der Gedanke, dass der Earl of Shropshire ihr vielleicht mit größerer Zuvorkommenheit begegnen würde, wenn sie ihm wie eine Hochgeborene entgegentrat, und nahm einen der goldenen Stirnreife, an dem violette Amethyste, Türkise und meergrüne Aquamarine funkelten.
Emsig faltete sie dann die übrigen Kleider, legte sie ordentlich in Truhen und räumte auch die alten, verschlissenen Sachen weg. Beim Geräusch des knirschenden Schlüssels drehte sie sich um und schaute den eintretenden Earl befangen an.
Staunen spiegelte sich in seiner Miene, und unverhüllte Bewunderung. „So und nicht anders hast du auszusehen, Meriel!" äußerte er anerkennend, kam zu ihr und hob sacht mit den Fingerspitzen ihr Kinn an. „Warum
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