historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
letzten Tagen gemacht hatte. Vielleicht erholte sie sich schon in Kürze vollends von den Folgen des Sturzes, und dann kehrte sicher auch ihr Erinnerungsvermögen zurück. Doch dann würde der Hass, den sie empfunden hatte, sie wieder erfüllen und alles ersterben lassen, was an stiller Zärtlichkeit zwischen ihr und Adrian entstanden war. Ihren hilflosen Zustand jetzt auszunutzen wäre niederträchtig und gemein. Adrian konnte nur hoffen, dass sie sich nach völliger Gesundung nicht ein weiteres Mal von ihm abwenden würde.
Er begab sich in sein Audienzzimmer, ließ Bruder Marsilius zu sich rufen und teilte ihm mit, welch beeindruckenden Fortgang Meriels Erholung nahm.
Der Zisterzienser hörte ihm aufmerksam zu und sagte dann: „Nach einem wuchtigen Schlag auf den Kopf ge schieht es häufig, dass jemand das Gedächtnis verliert. Im allgemeinen sind davon jedoch nur die unmittelbar vor dem Ereignis liegenden Erlebnisse betroffen.
Gewiss, ich habe Kenntnis von vollständiger Amnesie, einen solchen Fall indes noch nie erlebt. Ich halte es für möglich, dass Meriel das Erinnerungsvermögen zurückgewinnt, doch das ist allein Gottes Wille. Es ist bereits ein Wunder, dass sie den Sturz überlebt hat.
Vielleicht geschieht ein zweites. Ich werde sie noch einmal untersuchen, sobald sie wach ist.
Mehr kann ich indes nicht für sie tun. Ich bitte um Verständnis, Sieur, dass ich Warfield Castle dann verlassen werde."
Der Earl of Shropshire nickte und entließ den Mönch. Anschließend beorderte er den Kämmerer zu sich und hieß ihn, dafür Sorge zu tragen, dass niemand Meriel erzählte, wie sie in die Veste gelangt und was ihr widerfahren war. Nachdem das Gespräch beendet war, schickte er einen Knappen in das Gesindehaus und bestellte Margery zu sich. Es war anzunehmen, dass sie mit Meriel geplaudert und die beiden sich angefreundet hatten. Folglich erschien es ihm ratsamer, sich der Unterstützung der Magd zu versichern.
„Ich wünsche", sagte er streng, sobald sie eingetreten war und den Fußfall vollzogen hatte,
„dass du Schweigen über die Vergangenheit der jungen Mistress wahrst!" „Wie es dir beliebt, Herr", erwiderte sie gespielt aufsässig. Adrian entging nicht, dass sie ihn untertänig anschaute, lehnte sich zurück und fragte in wohlwollenderem Ton: „Hast du etwas auf dem Herzen? Mir scheint, die Anweisung ist nicht nach deinem Gutdünken. Sprich dich aus, ich werde dich nicht züchtigen lassen."
Die Magd sah ihn einen Moment misstrauisch an und entschloss sich dann offenbar, auf sein Wort zu bauen. „Du hast die Mistress sehr schlecht behandelt, Mylord Warfield", sagte sie vorwurfsvoll. „Ich finde, sie sollte es wissen."
„Ich bin deiner Meinung", stimmte er zu. „Eines Tages muss sie die Wahrheit erfahren.
Gleichwohl, ich ziehe es vor, wenn sie alles aus meinem Munde hört, zu einer Zeit, da sie wieder voll und ganz bei Kräften ist."
„Soll sie denn weiterhin wie eine Gefangene gehalten werden?"
„Nein", antwortete der Earl of Shropshire. „Die Tür ihres Gemaches ist nicht verschlossen und wird es auch in Zukunft nicht sein. Mistress Meriel steht es frei, Warfield zu verlassen, wann immer sie es will. Natürlich hoffe ich, dass sie bleibt."
„Und warum ziehst du mich ins Vertrauen, Herr?" fragte sie erstaunt. „Ich zähle doch nur zum Gesinde!"
„Du hast gesehen, wie die Mistress sich bereits erholt", erwiderte Adrian de Lancey. „Du wirst also begreifen, dass sie jemanden benötigt, nicht nur eine Dienerin, sondern eher eine Gefährtin, die ihr in allem beisteht. Meiner Ansicht nach bist du sehr gut dafür geeignet. Ich lege Wert darauf, dass du auf meiner Seite stehst und nicht gegen mich arbeitest."
„Wohlan, Mylord Warfield, ich werde der Mistress nichts über die Umstände ihres Hierseins berichten." Margery zauderte, konnte sich jedoch nicht enthalten, ihre Neugier zu befriedigen. „Stimmt es", erkundigte sie sich dreist, „dass du die Mistress zu deiner Gemahlin machen willst?"
„Ja", bestätigte der Earl of Shropshire. „Und sobald sie vollends genesen ist, werde ich ein zweites Mal um ihre Hand anhalten."
Die Magd knickste tief vor ihm und verließ schmunzelnd den Audienzsaal.
Den Nachmittag verbrachte Adrian de Lancey mit dem Feldzeugmeister und einem Teil der Mannschaft beim Waffendienst. Sein Bruder und der Marschall gesellten sich zu ihnen, und gern maß Adrian mit Richard die Kräfte. Sie standen sich in nichts nach, und die jungen Knappen umringten die
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