historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
erwiderte die Hökerin schmunzelnd. „Ich war nicht geladen."
Alan dankte ihr mit einigen Kupferpfennigen aus seiner Gürteltasche und verließ die Kramladen, innerlich vor Zorn bebend. Wenn es sich tatsächlich um Meriel handelte, dann war sie geraubt worden. Freiwillig hätte sie Avonleigh nie im Stich gelassen. Und ein Edler, der eine hilflose Frau verschleppte, hatte Arges im Sinn. Mylord Warfield galt zwar als anständiger Mann, aber das wollte nichts besagen.
Eilig strebte Alan zur Herberge zurück, fest entschlossen, Warfield Castle unverzüglich aufzusuchen. Selbst wenn er nur ein einfacher Lehnsmann und der Earl of Shropshire der Zwingherr war, hatte der andere ihm Rede und Antwort zu stehen. Und sollte Meriel in der Veste sein und Mylord Warfield keine überzeugende Erklärung geben können, dann gnade ihm Gott.
11. KAPITEL
In Warfield Castle schien ein Gelage abgehalten worden zu sein. Schon am Vorwerk begegneten Alan de Vere ausgelassene, vom Wein trunkene Menschen, und sogar die Schildwärter waren nicht mehr im Zustande nüchterner Wachsamkeit. Halb lallend, erkundigte einer der Soldaten sich nach dem Begehr des Fremden und ließ ihn anstandslos passieren, als Alan erklärte, Mistress Meriels Bruder zu sein.
Der Strom der Menschen riss auch bis zum Haupttor nicht ab, wo Alan erneut von einem der Wächter aufgehalten wur de. Als er den Wunsch wiederholte, seine Schwester sprechen zu wollen, musterte der Torhüter ihn von Kopf bis Fuß und sagte dann gedehnt: „Nun, du hast sichtlich lange Reise hinter dir, aber deine Behauptung stimmt offenbar. Du siehst aus wie unsere Burgherrin. Zu dumm, dass du die Heimführung der Braut heute vormittag versäumt hast! Die Gasterei ist noch in vollem Gange. Wenn du dich beeilst, wirst du sicher noch eine Weile an dem Festmahl teilhaben können."
Alan presste die Lippen zusammen, nickte stumm und ritt in den Innenhof weiter.
Unüberschaubares Gedränge und lautes Getöse empfingen ihn, das Grölen fröhlicher Zecher, vom Winde verzerrte Fetzen beschwingter Musik, wütendes Gekläff der sich um abgenagte Knochen zankenden Hunde, das Kreischen draller, schäkernder Weiber. Die Luft war geschwängert vom Duft zahlloser gebratener Ochsenkeulen, Tauben und Hühner und vom abgestandenen Gestank verschütteten Bieres.
Alan überließ das Pferd einem herbeieilenden Knecht, bahnte sich mühsam einen Weg durch die prassende Menge und begab sich in den Palas. Das Herz wurde ihm schwer, denn nun war ihm klar, dass er zu spät gekommen war.
Unbemerkt verweilte Alan am Eingang zur Halle. Der Schall der Leiern und Schalmeien erfüllte den prächtig geschmückten Raum, und zwischen Affenspielern, bunt ausstaffierten Gauklern und Possenreißern zeigten ge schickte Jongleure ihre Künste. Hochbeladenen mit Brettern voller Wildbret, dampfenden Schüsseln und gefüllten Silberkannen zwängten sich Knappen, Pagen und Knechte durch die Schar festlich gewandeter Gäste, die reichlich dem Wein und den erlesenen Gerichten zusprachen.
Am Ende des Saales, an einem erhöht stehenden Tisch, saß das gräfliche Paar. Obgleich Alan sich reckte, gelang es ihm nicht, einen Blick auf die Braut zu erhaschen. Gesinde und torkelnden Rittern ausweichend, ging er langsam an der rechteckigen Tafel entlang, bis er die junge Frau besser sehen konnte. Da sie ihm den Rücken zuwandte, konnte er nicht erkennen, ob es tatsächlich Meriel war. Sie sprach mit ihrem Gatten, einem jungen, attraktiven, inmitten des Trubels jedoch seltsam ernst wirkenden Mann. Er war, wie es sich für seinen Stand gehörte, mit großer Pracht gekleidet. Kostbare Ringe blitzten im Licht der unzähligen Wachsstöcke an den Händen auf; ein güldener Reif krönte die Stirn, und Hermelin schmückte den purpurnen Surkot. An der Spange, die ihn hielt, leuchtete ein großer Karfunkelstein, dessen rötliches Flimmern die Farbe der schimmernden Seidencotte hatte.
Das Mädchen neben dem Earl of Shropshire lachte über eine seiner Bemerkungen und machte eine Geste, die Alan nur allzu vertraut war. Nun bestand kein Zweifel, dass er die Schwester vor sich hatte. „Meriel!" rief er laut, um den Lärm zu übertönen, stieß unsanft einen der Knappen beiseite und blieb vor dem Tisch stehen. Die Hände aufstüt zend, beugte er sich vor und rief noch einmal: „Meriel!"
Beim Klang des Namens drehte sie sich um, schaute Alan an und lächelte höflich. „Sei gegrüßt, Fremder", erwiderte sie ruhig. „Wer bist du?"
Nie hatte sie
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