historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
ihm verlangen würde, sich von Meriel zu trennen. „Ich habe sie weder geschändet noch durch Arglist getäuscht!" erwiderte er scharf und fand, es sei an der Zeit, Meriel für sich selbst sprechen zu lassen. Er beugte sich zu ihr herunter und fragte weich:
„Möchtest du Warfield verlassen und mit deinem Bruder ziehen?"
Erschrocken schaute sie Adrian an, aber der zärtliche Ausdruck seiner Augen bewies ihr, dass er sie nicht verstoßen würde. Beruhigt erhob sie sich, ging zu Alan und ergriff seine Hände. „Bitte", sagte sie eindringlich, „wenn mein Wohl dir am Herzen liegt, dann versuche nicht, Geschehe nes zu ändern! Adrian ist mein Gemahl, und ich liebe ihn!"
„Wie du wünschst", murmelte Alan bedrückt und sah sie traurig an. „Vergiss indes nie, dass ich immer für dich da sein werde. Solltest du je anderen Sinnes werden, bist du mir stets willkommen."
„Ich werde dich besuchen", versprach Meriel lächelnd. „Es ist seltsam, doch ich fühle mich dir verbunden, obgleich ich keine Erinnerung an früher habe. Ich hoffe, je mehr Vergangenes mir gegenwärtig wird, auch wieder ein schwesterliches Verhältnis zu dir zu haben."
„Selbstverständlich bist du bei uns immer ein gern gesehener Gast", warf der Earl of Shropshire ein, auch wenn er der Anwesenheit des Schwagers in Warfield Castle mit leisem Bangen entgegensah. „Ich nehme an", fuhr er in beiläufigem Ton fort, „du hättest es erwähnt, wenn Meriel bereits versprochen oder verheiratet gewesen wäre, nicht wahr?"
„Ich hatte einige Verbindungen erwogen", gab ihr Bruder zu. „Aber noch war nichts entschieden."
Adrian konnte sich den Grund denken. Wahrscheinlich hatte es an einer beträchtlichen Mitgift gefehlt. Ohne sich anmerken zu lassen, dass er ihn bedauerte, bemerkte er leichthin:
„Ich habe den Eindruck, dass meine Gemahlin eine ausgezeichnete Erziehung genossen hat."
„Ja", bestätigte Alan de Vere. „Sie ist mehrere Sommer in Lambourn Priory gewesen. Kurz vor den Ewigen Gelübden hat sie sich jedoch entschieden, nicht den Schleier zu nehmen."
Das war die Erklärung, warum Meriel in vielem so bewandert war. Überrascht schaute Adrian sie an. Ausgerechnet in diesem Stift hatte sie ihre Bildung erhalten!
„Sei gut zu Meriel", sagte Alan de Vere mit verbissener Miene und drückte dann der Schwester die Hand. „Lebe wohl! Möge Gott dich schützen!"
„Du bleibst nicht bis zum Ende des Festes?"
„Ich bin jetzt nicht in der Stimmung zu feiern", antwortete Alan ernst und wies auf den Spiegel. „Behalte ihn, als Gabe zu deiner Hochzeit. Ich habe ihn für dich in Evreux gekauft, noch bevor ich wusste, dass du verschwunden warst."
Meriel stellte sich auf die Zehenspitzen und gab dem Bruder einen Kuss auf die Wange.
„Ich danke dir, dass du den Wunsch hattest, mich zu finden", sagte sie ergriffen, „und für dein Verständnis."
Er erwiderte den Kuss, wandte sich hastig ab und verließ das Gemach.
„Ich glaube", brummte Richard de Lancey und erhob sich, „auch du, Adrian, hast nun nicht mehr das Bedürfnis nach lauter Fröhlichkeit. Und niemand wird wagen, Einspruch zu erheben, wenn wir auf die Zeremonie der Braut nacht verzichten."
„Ja, ich wäre dir sehr verbunden, wenn du dich um die Gäste kümmern würdest", stimmte der Bruder zu. „Ich möchte jetzt mit Meriel allein sein."
Endlich war der Augenblick gekommen, da Ehrgefühl nicht mehr wie eine Mauer zwischen Meriel und Adrian stand. Seit dem Ausflug zum Severn hatte er nie mehr Zärtlichkeiten mit ihr getauscht, ihr höchstens einen flüchtigen Kuss auf die Stirn gedrückt, bevor er sich abends in seine Kammer begab. Meriel hatte sich oft nach ihm gesehnt und gewünscht, zu ihm gehen und ihn anderen Sinnes machen zu können. Es war ihr schwergefallen, seine Zurückhaltung zu verstehen, und manchmal hatte sie sich gefragt, ob sie anders dächte, falls sie mehr über ihre Vergangenheit wüsste.
Nun hatte sie einiges über sich erfahren, und die Neuigkeiten erschütterten sie nicht minder als ihn. Haltsuchend schmiegte sie sich im Brautgemach an ihn und versuchte zu begreifen, was Alan de Vere erzählt hatte. Sie bezweifelte nicht, dass er ihr Bruder und ihr von Herzen zugetan war.
Sein unvermutetes Erscheinen hatte sie jedoch aus dem inneren Gleichgewicht gebracht.
Alles war eitel Wonne und Sonnenschein gewesen, bis er in ihr Leben trat und Dinge berichtete, die ihr vollkommen fremd waren.
Sanft löste Adrian sich aus ihren Armen, schritt zum Fenster und
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