Historical Gold Band 251
für ihn noch für sich selbst eine Antwort hatte, beugte sie sich noch einmal zu ihm herunter und küsste ihn ein letztes Mal.
Das bedeutet wohl, dass mein Geheimnis bei dir sicher aufgehoben ist.
Selbst als sie eine halbe Stunde später allein in der winzigen Kammer saß, die sie für sich erkoren hatte, konnte Margaret seinen Körper, seinen Mund noch spüren.
Bis zu diesem Abend hatte sie sein Lächeln nie ganz einzuschätzen vermocht. Sie hatte es als arrogant bewertet, zu vertraulich, anmaßend. Gegen ihren Willen hatte sie es auch attraktiv gefunden. Doch erst an diesem Abend hatte sie erkannt, wie viel Unsicherheit darin lag. Bis jetzt war ihr nicht klar gewesen, wie verletzlich er auch war.
Und sie machte sich nun daran, das Schreibpult auf dem Schoß, Salz in seine Wunden zu streuen, sein Vertrauen zu missbrauchen. Die Stahlfeder ihres Federhalters schwebte über dem Papier, bereit, seine Geschichte in Tinte festzuhalten. Ein Tropfen sammelte sich an der Spitze und fiel tiefschwarz auf das Blatt Papier darunter.
Lieber Richard.
Ihr Bruder. Ihr eigener Bruder . Sie war mit ihm groß geworden. Als sie noch Schürzenkleidchen getragen hatte, hatte ein Freund von ihm sie einmal ein zotteliges kleines Ding genannt. Richard hatte ihm eine Ohrfeige verpasst. Wenn jemand auf dieser Welt ihre Loyalität verdient hatte, dann war es Richard. Sie musste diesen Brief schreiben.
Den nächsten Satz zu schreiben, es wäre so einfach gewesen.
Mr Ash Turner ist praktisch Analphabet.
Wenn sie das nur hinschreiben könnte, dann würde ihr Leben wieder in Ordnung kommen. Das Gesetz zu ihrer Legitimation würde durchkommen. Sie wäre wieder Lady Anna Margaret, und die Mitgift, die sie von ihrer Mutter hätte erhalten sollen, würde wieder ihr gehören. Sie wäre wieder ein Mitglied der vornehmen Gesellschaft; selbst wenn sie nie heiratete, wäre sie nicht ihr Leben lang von ihren Brüdern abhängig. Ein paar Tropfen Tinte, ein wenig Löschsand … Diese winzigen Dinge waren doch für sich genommen kein Verrat. Nicht wenn sie für ihre eigenen Brüder kämpfte. Mit zitternden Händen tauchte sie die Feder ein.
Lieber Richard,
es gibt da etwas, was Du über Ash Turner wissen solltest. Er ist …
Sie setzte den Federhalter an, um die nächsten Worte zu schreiben. Doch die Feder ließ sich nicht bewegen. Ein dunkler Tintenklecks bildete sich oben an der Spitze, wurde breiter, sickerte ins Papier, wie um sich über Margarets Schreibhemmung lustig zu machen.
Es gab einen Grund, warum sie den Satz nicht beenden konnte. Er entsprach nicht der Wahrheit. Sicher, der Brief würde aus lauter Fakten bestehen. Aber der Schluss, den man aus diesen Fakten ziehen würde – dass Ash Turner nicht in der Lage war, seine Pflichten als Herzog zu erfüllen – wäre vollkommen falsch. Sie käme sich vor wie eine Verräterin, wenn sie offenbarte, was er ihr anvertraut hatte. Es wäre nicht richtig, sein Vertrauen zu missbrauchen. Nicht, nachdem er sie auf diese Weise angeschaut und … alles gesehen hatte.
Ich will, dass Sie die Leinwand selbst bemalen.
Das Papier wartete geduldig darauf, ihre Worte aufzunehmen. Was sie jetzt auch schrieb, sie würde erklären, auf welcher Seite sie stand. Es kam ihr ganz falsch vor, das Blatt nun mit Lügen über Ash zu füllen. Er hatte ihr schließlich gesagt, dass sie etwas bedeutete.
Er vertraute ihr.
Ash hatte sie gleichsam in kleine Stücke geschlagen und sie mit einem Lächeln wieder geheilt. Für sie gab es nun keinen ehrenhaften Weg, den sie beschreiten konnte, keine Möglichkeit, sowohl ihren Brüdern als auch ihrem wachsenden Gefühl der Selbstfindung gerecht zu werden. Ihr blieb nichts übrig als eine kleine Geste der Auflehnung. Ihr blieb nichts übrig als die Wahrheit. Aber gegen wen sollte sie sich auflehnen? Und wenn sie zwischen den Wahrheiten wählte, welche sollte sie für sich aussuchen?
Versonnen starrte sie auf den Klecks, der sich über die Seite breitete, und hoffte, in der wolkigen Dunkelheit irgendein Geheimnis zu entdecken.
Nachdem sie die Feder noch einmal eingetaucht hatte, schrieb sie dann Folgendes: Ash Turner ist gewissenhafter, als Vater es je war.
Sie hatte nicht die Absicht gehabt, diesen Satz niederzuschreiben, ehe ihre Feder sich in Bewegung gesetzt hatte. Aber nun stand er da, in starren Lettern. Dieser Satz war wahrhaftiger als alles, was sie sonst hätte schreiben können. Und sie hatte nicht vor, auch nur einen Buchstaben zurückzunehmen.
In den ersten
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