Historical Lords & Ladies Band 38
blickte sie auf. Seltsam, wie sich das eben noch so finstere Gesicht des Earl verändert hatte. Der schmallippige Mund erschien ihr plötzlich voller, in den Augen lag ein Ausdruck gutmütigen Spotts. Plötzlich sah ihr Nachbar gar nicht mehr so bedrohlich aus.
Verwirrt wollte sie sich aufrichten, doch Nick kam ihr zuvor. Er gab ihr das Täschchen zurück und ergriff ihr Handgelenk.
„Miss Lynley, es tut mir sehr leid, dass ich Sie erschreckt und Ihre Muscheln zerbrochen habe. Bitte, verzeihen Sie mir.“
„Ich … nun …“ Sarah wusste nicht mehr weiter. Benommen schaute sie auf seine kräftigen Hände, die so sanft, beinahe beschützend zufassen konnten. „Ich nehme Ihre Entschuldigung an“, flüsterte sie. „Guten Tag, Mylord.“ Hocherhobenen Hauptes machte sie sich auf den Weg. Sobald sie außer Sichtweite war, raffte Sarah ihr Kleid zusammen, hielt ihren Hut fest und rannte los, als wäre der Teufel hinter ihr her.
Nick schaute ihr sprachlos nach. Er konnte nicht glauben, dass er sich eine solche Behandlung gefallen und die Missetäterin auch noch entkommen ließ! Kein Wunder, dass die Nachbarn seufzten, sobald die Rede auf Sarah Lynley kam. Die Ärmste war nicht normal und außerdem eine äußerst verführerische Person. Noch immer meinte er, ihren Körper zu spüren, der so unglaublich zart, so zerbrechlich war. Ihr Mut, mit dem sie ihre Angst besiegt und ihm die Stirn geboten hatte, beeindruckte ihn.
Das ungeduldige Wiehern seines Pferdes erinnerte ihn daran, dass das Wetter sich rasch verschlechterte und er aufbrechen musste. Beim Aufsitzen stieß er gegen die Tasche mit Sarahs Pistole. Unwillkürlich musste Nick lächeln. Diese merkwürdige Miss Lynley hatte ihn, der als ernst und verschlossen galt, tatsächlich zum Lachen gebracht!
„Auf Wiedersehen, Miss Lynley“, murmelte er versonnen. „Ich werde schon noch erfahren, warum Sie mich bedroht haben.“
„Du hast dem Earl of Ravensdene den Weg versperrt? Ihn mit einer Pistole bedroht? Sarah …?“
Sarah stand vor den hohen Fenstern des Salons, die auf den Hof von Wribbonhall Lacy zeigten, und nickte.
Entsetzen spiegelte sich in Miss Julia Wribbonhalls sanften grauen Augen wider. Sie ließ sich auf einem der Sofas nieder und strich zerstreut eine blonde Locke zurück, die ihr auf die Schulter gefallen war. „Ich kann dich verstehen. Er muss gedacht haben, du wärst von Sinnen. Und er hat immer noch Sir Jaspers Pistole? Was willst du tun, Sarah?“
„Sie zurückholen, bevor Ravensdene zu Onkel Jasper geht. Aber frage mich lieber nicht, wie. Ich weiß es noch nicht.“
„Bevor Ravensdene zu Sir Jasper geht? Gütiger Himmel!“
„Ich wünschte, du würdest nicht alles wiederholen, Julia. Das hilft mir nicht weiter.“
„Wie kann ich einen vernünftigen Gedanken fassen, wenn du ständig hin- und herläufst?“, beschwerte Julia sich. „Ich flehe dich an, setz dich, mir wird ganz schwindelig.“
Sarah nahm gehorsam auf dem Sofa gegenüber dem Kamin Platz und blickte ihre Freundin erwartungsvoll an.
„Wie wäre es, wenn du ihm von Amy erzählen würdest …?“
„Was soll ich ihm erzählen, Julia? Mylord, ich habe Sie bedroht, weil meine Schwester und ich vor acht Jahren genau hier überfallen wurden. Sie wurde geschändet und anschließend getötet. Und ich tat nichts, um ihr zu helfen. Ich habe den Wald lange Zeit gemieden und war gestern zum ersten Mal wieder ohne Begleitung dort. Leider kamen Sie zufällig …“ Sarah kämpfte mit den Tränen. „Er würde mich für verrückt halten.“
„Du weißt ganz genau, dass du Amy nicht hättest helfen können, Sarah. Du wurdest niedergeschlagen und warst bewusstlos.“
Sarah starrte unverwandt auf ihre Hände. „Das stimmt nicht ganz. Ich wusste … ich hörte …“
„Oh Sarah, das tut mir leid.“ Julia eilte zu ihrer Freundin und umarmte sie. „Ich hätte dich nicht daran erinnern dürfen.“
„Es ist schon gut. Ich könnte nach Comberford Place gehen und Ravensdene bitten, mir die Pistole zurückzugeben. Der Eindruck, den er von mir hat, dürfte sich kaum verschlechtern. Allerdings würde Onkel Jasper der Schlag treffen, wenn er davon erfahren sollte.“
Bevor Julia etwas darauf erwidern konnte, wurde die Tür geöffnet.
„Sarah, liebes Kind, willkommen.“ Lady Wribbonhall, eine hübsche, wenngleich ein wenig füllige Matrone mit ebenso hellem Teint wie ihre Tochter, eilte auf Sarah zu, und umarmte sie. „Wie geht es Sir Jasper nach eurem Aufenthalt in Tunbridge
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