Historical Lords & Ladies Band 39
überzeugen zu wollen. Er war fest entschlossen, Robert Selborne für einen schlechten Menschen zu halten. Sie hingegen vertraute dem Earl, der so unerwartet ihr Verlobter geworden war. Sie hatte die Gespräche mit ihm genossen. Und sie hatte nicht vergessen, dass er ihr gegen ihren Vater geholfen hatte. „Denk daran“, sagte sie zu ihrem Bruder, „dass seine Unterstützung dir sehr willkommen war, als es darum ging, die Tür aufzubrechen.“
„Ich hätte eine Axt geholt, wenn er nicht zufällig gerade aufgetaucht wäre.“
„Er ist nicht zufällig aufgetaucht. Und ich weiß sehr wohl, warum du dich an dem Abend so abweisend ihm gegenüber verhalten hast. Du dachtest, er wolle mich zu seiner Mätresse machen. Stattdessen hat er mich um meine Hand gebeten. Aber du bist immer noch nicht zufrieden!“
„Wenn man dich so reden hört, könnte man meinen, du hättest dich in den Kerl verliebt!“
„Unsinn!“
„Ach ja? Als ich ihn zum ersten Mal sah, küsste er dich gerade – und zwar so, als ob er großen Spaß daran hätte. Kaum zwei Tage später bittet er dich, ihn zu heiraten. Aber die Ehe soll nur auf dem Papier bestehen. Irgendwas passt da nicht zusammen. Findest du das nicht auch?“
Jemima errötete und wandte den Kopf ab, damit Jack es nicht bemerkte. „Er hat mich geküsst, weil er hoffte, es würde ihm Glück bringen. Wenn ich mich recht entsinne, hat die Braut dich an dem Tag auch geküsst.“
„Das hat sie. Allerdings nicht so leidenschaftlich …“
„Nun, dafür hast du ja Lady Alford.“
Jack lachte. Die Erfahrung hatte ihm bewiesen, dass der Beruf des Schornsteinfegers die besten Möglichkeiten bot, Eroberungen zu machen. Um seine Arbeit zu erledigen, musste ein Kaminkehrer alle möglichen Räume, auch Schlafzimmer, in den verschiedensten Häusern betreten. Dabei lernte er viele Menschen kennen, darunter viele einsame Frauen. Eine von ihnen war Lady Alford gewesen, der Jack nun seit etwa einem Jahr seine Aufmerksamkeit schenkte.
„Ich werde ihr sagen, dass es vorbei ist“, erklärte er plötzlich ernst werdend.
„Warum?“
„Weil ich es satt bin, immer nur heimlich mit ihr zu verkehren. Mylady heißt mich in ihrem Bett gern willkommen. Doch niemals würde sie mich zum Dinner einladen.“
„Ach, ich ahnte ja nicht einmal, dass es dein Wunsch war, mit ihr zu speisen“, meinte Jemima ironisch.
Jack warf ihr einen zornigen Blick zu. „Sei nicht albern! Es geht mir nicht darum, mit ihr am Tisch zu sitzen. Aber es wäre schön zu wissen, dass ich es könnte, wenn ich es wollte. Es hat etwas damit zu tun, dass Menschen dieser Gesellschaftsschicht uns nicht wirklich respektieren.“
„Ich verstehe, was du meinst.“
„Dann solltest du dir diese dumme Idee, Countess of Selborne zu werden, möglichst rasch aus dem Kopf schlagen. Es muss dir doch klar sein, dass man dich gesellschaftlich niemals akzeptieren wird. Es wird dir genauso ergehen wie Lady Denbigh.“
„Jack, die Dame ist vorher als Reiterin im Zirkus aufgetreten!“
„Zirkusartistin, Kaminkehrerin – wo ist der Unterschied?“
„Das weißt du selber. Es ist nicht so ungewöhnlich, dass ein Adliger die Tochter eines reichen Bürgerlichen heiratet.“
„Das stimmt, und dabei geht es immer um Geld. Verarmter Lord heiratet reiche Erbin oder so. Außerdem handelt es sich bei den Familien der jungen Frauen stets um solche, die durch Handel oder Ähnliches reich geworden sind. An dir aber klebt, bildlich gesprochen, noch der Ruß der Kamine.“
Jemima schwieg. Sollte sie ihrem Bruder noch einmal erklären, dass sie ja nur aus taktischen Gründen heiraten würde, dass sie nicht beabsichtigte, jemals an der Seite ihres Gatten am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, dass die Ehe so bald wie möglich annulliert werden würde? Sie hatte den Eindruck, dass jede weitere Diskussion sinnlos war. Insgeheim musste sie sich allerdings auch eingestehen, dass sie manchmal ein paar Sekunden lang davon träumte, wirklich Robert Selbornes Gattin zu sein.
Während sie und Jack den Heimweg einschlugen, dachte sie darüber nach, wie dumm und romantisch selbst eine so abgeklärte junge Frau wie sie selber sein konnte. Schließlich wusste sie nur zu genau, dass Liebe ein Luxus war, den ihresgleichen sich nicht leisten konnte.
Laut sagte sie: „Lord Selborne und ich verfolgen rein geschäftliche Pläne.“
„Und das kannst du mit deiner Selbstachtung vereinbaren?“, fuhr ihr Bruder auf.
Sie errötete, doch dann erwiderte sie mit
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