Historical Lords & Ladies Band 39
musste sie vor Rührung schlucken. Himmel, sie benahm sich wie ein dummes Kind! Reiß dich zusammen, Jemima, befahl sie sich selbst. Sie straffte die Schultern und begleitete ihren Besucher ins Entree.
„Auf Wiedersehen“, sagte er und wollte zur Tür gehen. Unerwartet wandte er sich noch einmal um. Er zog einen Siegelring vom Finger und reichte ihn Jemima. „Bitte nehmen Sie das. Mir ist klar, dass Sie den Ring nicht tragen können, ohne Misstrauen zu erwecken. Außerdem wird er Ihnen sowieso zu groß sein. Trotzdem möchte ich, dass er jetzt Ihnen gehört.“
„Aber …“, wollte sie protestieren.
„Es ist mein Verlobungsgeschenk an Sie.“
„Danke.“ Ein letzter Blick, dann war er zur Tür hinaus.
Langsam und nachdenklich ging sie in ihr Zimmer. Noch verstand sie nicht so recht, was geschehen war. Oberflächlich betrachtet war es einfach: Lord Selborne brauchte eine Gattin – und er hatte sich eine gekauft.
Von dem Geld, das er ihr geben würde, konnte sie ein unabhängiges Leben führen. Sie würde sich Bücher leisten können. Sie würde sich ein eigenes Klavier anschaffen können. Sie würde Kinder unterrichten können.
Plötzlich lachte sie laut auf. War das alles nicht viel zu schön, um wahr zu sein? Vielleicht würde sie gleich aus diesem seltsamen Traum erwachen.
Dann erinnerte sie sich daran, wie attraktiv ihr Bräutigam war. Es ließ sich nicht leugnen, dass er eine große körperliche Anziehungskraft auf sie ausübte. Zudem schien er ein guter Mensch zu sein, jemand, dem es nicht an Mitgefühl mangelte, jemand, mit dem man sich wunderbar unterhalten konnte, jemand, mit dem sie gern mehr Zeit verbracht hätte …
Schade eigentlich, dass er London gleich nach der Eheschließung verlassen würde, um in Oxfordshire zu leben, während sie sich in ihrem Haus in Twickenham einrichtete …
„Du musst den Verstand verloren haben, Jemima“, erklärte Jack. „Man sollte dich ins Irrenhaus bringen.“
Die Geschwister standen auf der Blackfriars Bridge, und beide starrten hinunter ins träge dahinströmende Wasser der Themse. Es war kühl, und Jemima zog ihr Schultertuch fester um sich.
„Du denkst also, dass ich eine unüberlegte Entscheidung getroffen habe?“, fragte sie.
„Nein. Ich denke, dass du verrückt geworden bist. Du kannst doch keinen Mann heiraten, den du gar nicht kennst! Das ist schlimmer, als Jim Veales Frau zu werden.“
„Du verstehst nicht …“
„Oh doch. Ich habe genau verstanden, was du mir erzählt hast. Und gerade deshalb bin ich so sicher, dass du dich völlig idiotisch benimmst. Was weißt du denn über diesen Herrn? Nichts! Was wirst du tun, wenn er sein Wort nicht hält? Wenn er dir das versprochene Geld nicht gibt oder plötzlich auf die Idee kommt, doch auf seinen ehelichen Rechten zu bestehen?“
Jemima seufzte tief auf. Einerseits war sie froh, dass ihr Bruder sich solche Sorgen um sie machte. Andererseits zweifelte sie inzwischen nicht mehr daran, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. „Es ist nicht so, wie du es darstellst, Jack. Wir werden einen Ehevertrag schließen, in dem alle wichtigen Punkte festgelegt sind.“
„Und wenn er trotzdem nicht zahlt? Hast du eine Vorstellung davon, wie viele sogenannte Gentlemen ihre Schulden nicht begleichen? Was willst du tun, wenn du plötzlich ohne Geld dastehst? Wirst du zu Vater zurückkommen? Verflixt, Jemima, dieser Kerl, dieser Selborne, benutzt dich für seine eigenen Zwecke. Wie kannst du nur so blind sein?“
„Ich benutze ihn ebenso. Jeder von uns bekommt, was ihm wichtig ist. Er erhält das Erbe, ich erhalte meine Unabhängigkeit. Nur deshalb schließen wir diese Vereinbarung überhaupt.“
Jack schüttelte angewidert den Kopf. „Er benimmt sich wie ein Glücksritter. Ja, ja, ich weiß, dass du keine Mitgift hast. Trotzdem! Er heiratet dich doch nur des Geldes wegen. Das ist einfach nicht richtig! Er hätte eine junge Dame aus seinen eigenen Kreisen nehmen sollen.“
„Ich habe dir doch erklärt, dass er keine große Auswahl hatte und dass die auf dieser Feier anwesenden Damen nicht als Gattin für ihn infrage kamen.“
„Vermutlich haben sie ihm alle eine Abfuhr erteilt!“
„Ganz bestimmt nicht! Er ist ein attraktiver Mann mit viel Charme.“
„Das mag auf den ersten Blick so erscheinen. Aber irgendetwas ist mit ihm nicht in Ordnung, darauf gehe ich jede Wette ein!“, beharrte Jack.
Ein kalter Windstoß ließ Jemima erzittern. „Lass uns gehen.“ Es war sowieso sinnlos, Jack
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