Historical My Lady Spezial Band 1 (German Edition)
letzter Zeit an den Tag legte. Und das, obwohl sie ihn in keiner Weise, weder in Worten noch Taten, zu dieser Vertraulichkeit ermutigt hatte.
Wenigstens klang Lucian St Claire aufregend, und nach all den Wochen, während der Francis sie mit seinen Aufmerksamkeiten ermüdet hatte, begrüßte Grace jede Abwechslung.
„Er klingt sehr … interessant, Onkel George“, sagte sie leichthin.
„Der Mann mag ja ein Kriegsheld sein“, beharrte Francis, „aber es wird gemunkelt, dass er seit seiner Rückkehr in die Gesellschaft eine Art Frauenheld und …“
„Das reicht jetzt, Francis“, unterbrach ihn sein Bruder. „Ich lasse nicht zu, dass du einen unserer heroischen Soldaten auf diese Weise verunglimpfst.“
Wieder sah Grace, wie Francis’ eigentlich recht attraktives, jugendliches Gesicht sich ärgerlich verzog. Dabei war er ansonsten sogar sehr anziehend mit seinem vollen blonden Haar, den hellblauen Augen, den breiten Schultern und kräftigen Beinen, die von der schwarzen Abendkleidung noch betont wurden. Wenn nur sein Wesen ebenso angenehm wäre wie seine Erscheinung. Doch er hatte bereits viel zu viel Zeit auf dem Landsitz des Dukes und dessen Gattin in Worcestershire verbracht. Sein vorheriger Besuch bei seinem Bruder Darius in Malvern war viel kürzer gewesen – die beiden jüngeren Brüder kamen nicht besonders gut miteinander aus. Und so hatte Grace genug Zeit gehabt, um zu erkennen, dass Francis nicht nur in übertriebenem Maß rechthaberisch war, sondern außerdem nicht den geringsten Sinn für Humor besaß.
Allerdings war er nur Onkel Georges Halbbruder, was vielleicht erklärte, warum Francis so ganz anders war als sein gutmütiger ältester Bruder. George Wynter mit seinen achtundfünfzig Jahren war der Sohn aus der ersten Ehe des verstorbenen Duke of Carlyne. Darius Wynter war einunddreißig Jahre alt und der Sohn aus zweiter Ehe, während Francis Wynter fünfundzwanzig Jahre alt war und aus der Ehe mit seiner dritten und letzten Frau stammte.
Grace konnte jetzt, da sie alle drei Brüder kennengelernt hatte, nur vermuten, dass sie jeweils ihren Müttern nachschlugen. Jedenfalls waren sie einander so unähnlich, wie Menschen es nur sein konnten. George war warmherzig und liebenswürdig, Darius ein Schwerenöter, wie er im Buche stand, und Francis, wie sie zu ihrem Kummer erfahren hatte, ein entsetzlicher Langweiler.
Gewiss war es mehr als undankbar von ihr, so zu denken, nachdem die ganze Familie sie so herzlich aufgenommen hatte. Die ersten neunzehn Jahre ihres Lebens hatte sie mit ihren Eltern auf dem Lande verbracht, bis sie plötzlich durch einen Bootsunfall vor einem Jahr Vater und Mutter verloren hatte. Der Duke of Carlyne war jetzt ihr Vormund, und er war außerdem bis zu ihrer Heirat zum Treuhänder ihres erheblichen Erbes ernannt worden.
Jetzt, da das Trauerjahr vorüber war, hatte ihre Tante darauf bestanden, sie für die Saison nach London zu bringen. Deswegen befanden sie sich nun auch auf dieser unbequemen Reise – ein wenig früher als eigentlich nötig, weil ihre Tante beabsichtigte, ihr eine völlig neue Garderobe anfertigen zu lassen. Die fünf Tageskleider und drei Abendroben, die sie besaß, wurden als völlig unzureichend bezeichnet für eine Londoner Saison, wo sie dem gesamten ton als das Mündel des Dukes of Carlyne vorgestellt werden würde.
Grace war Onkel und Tante sehr dankbar für die Liebe, die sie ihr im vergangenen Jahr entgegengebracht hatten. Sie wünschte nur, Lord Francis Wynter wäre nicht ganz so besitzergreifend.
„Lucian war damals ein so lieber Junge“, erinnerte sich ihre Tante Margaret traurig. „Weißt du noch, wie eng er und Simon befreundet gewesen waren, Carlyne? Wie sie gemeinsam nach Eton und dann Cambridge gingen, bevor sie am selben Tag ihr Offizierspatent kauften?“
Der Duke tätschelte seiner Frau tröstend die Hand. „Na, na, meine Liebe. Was nicht geändert werden kann, muss ertragen werden.“
Die stoische Art, mit der die beiden den Tod ihres einzigen Sohnes akzeptierten, schnürte Grace die Kehle zu. Sie hatte ihren Cousin Simon nicht sehr gut gekannt, da er zehn Jahre älter gewesen war als sie, doch sie erinnerte sich an ihn als einen Mann, der ebenso liebenswert und freundlich gewesen war wie sein Vater.
Wie seltsam also, dass er ausgerechnet mit jemandem so gut befreundet gewesen sein sollte, den ihr Onkel als melancholisch und anziehend bezeichnete und Francis als einen Frauenhelden und … Und was? fragte sie sich
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