Historical Platin Band 04
verschafften.
Sie hob den Deckel einer Truhe an, und wunderschöne schimmernde Seiden waren zu sehen. „Oh, welche Pracht!“, äußerte Amrosine, ihre ältliche Kammerfrau, hingerissen.
Sacht ließ Mellisynt die Hand über den goldbestickten lichtbraunen Stoff gleiten und bemühte sich, nicht daran zu denken, wie sie dereinst aufgeregt und unruhig darauf gewartet hatte, dass die Mägde ihre Aussteuer einpackten. Dieses Mädchen gab es nicht mehr. Es war, wie die prächtigen Gewänder, nur wenige Wochen nach der Ankunft auf Burg Trémont verschwunden.
Mellisynt nahm eine mit güldenen Kienäpfeln verzierte Tunika heraus und schüttelte sie aus.
„O nein!“, jammerte Amrosine. „Die Motten haben den herrlichen Stoff zerfressen. Die Cotte hat viele Löcher.“
„Ja, leider“, bestätigte Mellisynt und setzte sich seufzend auf die Hacken. Ihre Hochzeitsgewänder schienen ihr Leben zu symbolisieren, da sie, wie die kostbaren Kleider, mehr denn zehn Sommer lang eingeschlossen gewesen war. Behutsam strich sie über die Tunika. Die mit Goldfäden durchzogene Seide fühlte sich kühl und glatt an, und ungeachtet des schlechten Zustandes, in dem sie war, hatte sie den seidigen Glanz nicht verloren. Erfreut darüber, dass der hellbraune Ton nicht verblasst war, schaute sie lächelnd die Kammermagd an und sagte entschlossen: „Mach diesen Kasten auf, Amrosine. Vielleicht finde ich noch das eine oder andere Kleid, das nicht beschädigt ist.“
Nach einer Weile hatte sich herausgestellt, dass mehrere Gewänder noch zu verwenden waren. Mellisynt hoffte, dass sie ihrem neuen Gebieter darin gefallen möge. Natürlich mussten sie zuvor erst mit allem Bedacht in Ordnung gebracht werden. Mellisynt nahm sich vor, sich später zusammen mit Amrosine mit ihnen zu befassen. Mithilfe des Kammerweibes breitete sie die Sachen zum Lüften auf den Bänken im Fenster aus und wurde dabei von einer Magd gestört, die ihr atemlos verkündete, sie werde von Monsieur d’Edgemoor erwartet.
Unwillkürlich lächelte sie und sagte sich nach einem letzten Blick auf die farbenprächtigen Gewänder und pelzgefütterten Schultermäntel, sie werde nun bald der Veste den Rücken kehren, die ihr so lange wie ein Kerker vorgekommen war.
„Und hiermit gelobe ich Euch ewige Treue.“ Richard schaute die neben ihm kniende Burgherrin von Trémont an und schob ihr den Reif mit dem in Gagat und Bergkristalle gefassten, durchsichtig grünen Alexandrit auf den vierten Finger der linken Hand. Das Wangen und Kinn fest umschließende Gebende aus weißem Linnen, unter dem man an Schläfen und Hinterkopf das rötlich schimmernde Haar sah, wurde von einem schmalen Reif geschmückt.
Wie aus weiter Ferne vernahm Richard sein Versprechen, Madame Mellisynt de Trémont als Gemahl zu ehren und zu lieben, freigebig und ihr treu zu sein, und dieses unverdrossen und stets aufs Neue. Der Priester legte ihrer beide Hände zusammen, segnete sie und setzte die Zeremonie fort.
Richard verkniff die Lippen und ließ die Hand seiner Verlobten los. Im Stillen verwünschte er den Kapellan, der eingehend über den heiligen Stand der Ehe und die Pflichten der Brautleute sprach. Der Pfaffe hätte wissen müssen, dass es sich bei dem Verspruch um eine reine Formalität handelte, denn schließlich hatte Monsieur Geoffroir Plantagenet d’Anjou, Duc de Bretagne, selbst die Verfügung zu dieser Verbindung unterzeichnet. Gleich danach war Richard gen Trémont gezogen, um die junge Witwe zu seiner Gemahlin zu machen. Es war ganz und gar unüblich, dass die Einwilligung zur Ehe vor einem Priester bekundet werden musste.
Die Kälte der Steinquader drang Richard durch die Beinkleider und machte ihn frösteln. Wenn er noch länger knien musste, würde die halb verheilte Wunde im linken Knie ihn schmerzen, und dann konnte er von Glück reden, so es ihm gelang, sich aus eigener Kraft aufzurichten.
Er beachtete die salbungsvoll klingende Stimme des Paters nicht mehr und richtete den Blick auf das über dem Altar hängende Gemmenkreuz. Das Licht der Wachsstöcke brach sich in den Amethysten, Chrysolithen und Saphiren, glänzte auf dem Goldblech, den Perlen und dem Filigran. In dem schlichten, nur mit wenigen Fresken und den roten Weihekreuzen geschmückten Bethaus war das leuchtende Kruzifix der erhabene Mittelpunkt, der einzige Gegenstand, der vom Reichtum des einstigen Burgherrn Kunde gab. Frodewin de Trémont hatte die Heilige Mutter Kirche eindeutig nicht an seinem großen Wohlstand
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