Historical Platin Band 04
eigenmächtig geworden war.“ Anselm warf einen vielsagenden Blick auf den Senemarschall, der sich mit der Burgherrin unterhielt.
Richard betrachtete die beiden ein Weilchen, wandte sich dann wieder dem Pater zu und erwiderte eisig: „Ich habe vom Burgvogt den Eindruck gewonnen, dass er ein ehrbarer Mann ist.“
„Wie wahr!“, sagte Anselm hastig und fühlte sich erblassen. „Das ist er! Nun, ihm ist es nicht anzulasten, dass er in Misskredit geriet. Viele Männer werden schwach, wenn eine Tochter Evas sie mit einladendem Lächeln und verführerischem Blick verlockt.“
Bedächtig stellte Richard den Becher auf der Credenz ab und fragte drohend: „Habt Ihr damit andeuten wollen, Pater Anselm, dass Madame de Trémont den Kastellan ermutigt hat, sich und ihm Schande zu machen?“
Erschrocken wich Anselm einen Schritt zur Seite und antwortete bestürzt: „Fürwahr nicht, Sieur! Jedenfalls hat sie ihn nicht mehr ermuntert denn die anderen Männer, die Messire Frodewin aus der Veste vertrieb. Es ist ihr nicht gegeben, anders zu sein.“ Verstört zog er sich vor dem Burgherrn zurück, der sich ihm mit Unheil verkündender Miene näherte.
„Ihr sprecht von meiner Verlobten, Pfaffe! Ich will keine Verleumdungen mehr gegen sie hören. So sie sich schuldig gemacht hat, muss sie Euch das in der Beichte gestehen, und Euch verpflichtet das Beichtgeheimnis zum Schweigen.“
Verärgert schaute Richard dem sich eilends entfernenden Priester hinterher und verspürte unversehens einen schalen Geschmack im Mund. Erinnerungen an andere, gleichermaßen scheinheilige Mönche überkamen ihn, die seine Mutter eines gottlosen Lebenswandels geziehen hatten. Ergrimmt griff er nach dem Pokal und leerte ihn bis zur Neige. Im Knie plagte ihn ein stetiger Schmerz; er war übermüdet und am Rande der Geduld.
Von der anderen Seite des Saales warf Mellisynt ihm einen unsicheren Blick zu und bahnte sich dann einen Weg durch die emsig umhereilenden Dienstboten, sich verlustierenden Zecher und in der Streu schnüffelnden Hunde.
Mit dem weißen Gebende, gekleidet in die schlichte Cotte und die einfache Tunika wirkte sie wie eine Klosterfrau. Weder ihr Aussehen noch ihr Gebaren ließen darauf schließen, dass sie das lüsterne Frauenzimmer war, als das der Kapellan sie hingestellt hatte. Hätte Richard nicht das flüchtige Aufflackern in ihren grünen Augen bemerkt, wäre er überzeugt gewesen, dass sie keines Mannes Gefallen finden würde, und seins gewiss nicht. Nun jedoch schaute er sie mit anderen Augen an und sah in ihr zum ersten Mal das Weib, nicht nur die blässliche Witwe.
„Ich ersuche Euch, Monsieur, mich zurückziehen zu dürfen. Da Ihr im Morgengrauen abzureisen gedenkt, muss ich noch das Packen beaufsichtigen.“
„Die Bitte ist Euch gewährt“, erwiderte er und ließ den Blick über ihre ausdruckslose Miene schweifen. „Ich wünsche Euch erholsamen Schlaf“, setzte er hinzu, ergriff ihre sich weich und warm anfühlende Hand und hob sie zum Kuss an die Lippen. Ein leichter Duft von Kalaminthe wehte ihm entgegen, und unwillkürlich kam ihm in den Sinn, ihr Gemahl, dieser Geizhals, habe sie gut erzogen, da sie dessen Barschaft nicht auf kostspielige Rosenwässerchen vergeudete.
Er schaute ihr hinterher, als sie den Saal verließ, und überlegte verwundert, warum die Erkenntnis, dass sie sparsam war, ihn nicht zufrieden stimmte.
2. KAPITEL
Noch vor dem ersten Hahnenschrei erhob Mellisynt sich vom Lager, weckte die an der anderen Seite des Raumes schlafende Kammerfrau und machte geschwind Morgentoilette. Dann ließ sie sich von Amrosine für die Reise kleiden und begab sich eilends zum inneren Hof. Auf der Treppe blieb sie stehen, blinzelte gegen das Morgenlicht an und sah Messire Edgemoor auf sich zukommen. Heilige Jungfrau! Er hatte wirklich eine imposante Statur! Mit festen Schritten kam er auf sie zu, und das Gewicht seiner Rüstung schien ihm nicht das Mindeste auszumachen. Über dem Kettenhemd trug er einen fehbesetzten azurnen Waffenrock, der auf der Brust mit einem die Pranken hebenden schwarzen Bären bestickt war. Der Schein der sich über den Horizont erhebenden Sonne fiel auf sein vom Wind zerzaustes schwarzes Haar und überzog es mit güldenem Schimmer.
„Ich entbiete Euch einen guten Tag, Madame“, begrüßte er sie, sobald sie die zum Palas führende Treppe heruntergekommen war, neigte sich vor und hob ihre Hand zum Kuss an die Lippen.
„Habt Ihr das Frühmahl
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