Historical Platin Band 04
weitere Ausflüge in Gesellschaft seines Oheims, eskortiert von einer Schwadron Berittener, unternommen, die zu Edgemoor gehörenden Weiler aufgesucht, Kranken Trost gespendet und ihnen das Siechtum lindernde Arzneien gebracht.
Im Lenz und Sommer hatte sie in Wald und Feld sprießende Kräuter gesammelt, sie getrocknet oder im Verlauf der Zeit heilende Salben aus deren Sud gemacht. In all den vielen Wochen, die seither verstrichen waren, hatte sie ihr Heim und die Umgebung schätzen gelernt. Selbst in den Wintermonaten hatte die Landschaft einen herben Reiz, der ihr zusagte, und im Glast der Sonne boten die Marsch und das Meer einen herrlichen, das Gemüt erfreuenden Anblick.
Ganz besonders der Aufenthalt am Gestade gefiel ihr, auch wenn Messire Ailmer ihr stets Vorhaltungen machte, sie habe auf ihr Wohlergehen zu achten. Er sah es nicht gern, dass sie sich, oft nur von dem Pagen, gelegentlich noch von einer Wache begleitet, zum Wasser begab und sich in den Wellen verlustierte. Insonderheit störte ihn der Umstand, dass man sie weder vom Keep noch von den Wehrgängen her beobachten konnte. Sie hingegen hatte ihm versichert, umsichtig zu sein und keine Gefahr auf sich zu nehmen. Sie fand es wundervoll, in der kleinen Bucht zu sein, sich nach einem erfrischenden Bad im Wasser die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen, mit dem Hund herumzutollen oder nur dazusitzen und zu träumen.
Sie hing den Erinnerungen an den Gatten nach, der, wie er ihr durch ein Schreiben kundgetan hatte, bald bei ihr eintreffen würde. Die Vorfreude auf das Wiedersehen war ihr jedoch leicht durch die Mitteilung getrübt worden, der Grandseigneur habe vor, eine Weile das Recht des Lehnsherrn in Anspruch zu nehmen und die Gastfreundschaft seines Vasallen zu genießen. Es beruhigte sie, dass sie inzwischen über eine standesgemäßere Ausstattung verfügte, die ihr von den Mägden angefertigt worden war. Darunter befanden sich aus kostbaren Stoffen gemachte, prächtig bestickte Roben, sodass sie nun imstande war, zu jedem Anlass ein anderes Kleid zu tragen. Eines dieser neuen Gewänder gedachte sie anzuziehen, um den Gemahl in ihrem neuen Glanz zu empfangen.
Sie brannte darauf, ihn wieder bei sich zu haben, denn die Nächte ohne ihn waren einsam gewesen. Es erstaunte sie, dass sie nach der kurzen Zeit, die sie mit ihm zusammen gewesen war, den in den Jahren der Ehe mit Monsieur Frodewin de Trémont aufgestauten Widerwillen gegen das Beilager verloren hatte und sich derart nach dem Gemahl sehnte.
Ihr kam der Gedanke, in die Burg zurückzukehren, doch sie verdrängte ihn, da sie wusste, dass sie sich auf den Hofmeister und die Gattin des Burgvogtes verlassen konnte. Die Vorbereitungen für den Empfang des hohen Gastes und des Gatten waren seit Tagen im Gange, damit das Gelage den Ansprüchen des fürstlichen Besuchers genügte.
Plötzlich hörte sie den Pagen laut rufen, hob den Kopf und sah ihn aufgeregt herbeirennen, gefolgt von dem bellenden Hund. Jäh befürchtete sie, es könne Gefahr bestehen, bekam Herzklopfen und sprang hastig auf. Im gleichen Moment erblickte sie einen auf einem stattlichen Rotschimmel mit goldfarbenem Behang sitzenden Reiter, der das Ross behutsam die steile Passage zum Strand heruntergehen ließ. Bestürzt fragte sie sich, wie es möglich sein konnte, dass seine Anwesenheit den auf den Wehrgängen postierten Schildwachen entgangen war.
Keuchend gelangte Colet zu ihr und sagte atemlos: „Wir müssen auf der Stelle zurück, Madame. Ich konnte das Wappen auf dem Waffenrock nicht erkennen und weiß nicht, ob der Herr sich uns in freundlicher Absicht nähert.“
Verstört starrte Mellisynt zu dem Berittenen hinüber und erwiderte: „Wir können uns retten, Colet, wenn wir uns sputen und den Weg zur anderen Seite der Bucht nehmen. Noch schneidet die Flut ihn uns nicht ab.“ Geschwind bückte sich Mellisynt, hob ihre neben dem Stein liegenden Gewänder auf und rannte, die Röcke raffend, am Wasser entlang.
Flink folgte ihr Colet und hielt mit ihr auf die Landzunge zu, die noch nicht von Wellen umspült war. Sie liefen indes bereits weit auf dem jetzt sehr schmalen Streifen Strandes aus.
Mellisynt stapfte durch den weichen Sand, der immer wieder unter ihr nachgab. Der Gischt an die Felsbrocken schlagender Wogen übersprühte sie; torkelnd schwankte sie voran, glitt aus, stürzte und raffte sich hurtig wieder hoch.
Verschreckt schaute sie über die Schulter zurück und sah den Reiter stracks auf sich zukommen. Da sie
Weitere Kostenlose Bücher